14) Furcht vor kaltem Wasser
Bei vielen Menschen findet man, dass sie eine große Furcht vor dem kalten Wasser (zum Trinken und Begießen) empfinden, wenn sie transpiriert haben und der Körper vom Schweiß trieft. Louis Sauvan (a. a. O.) wurde erst von dieser Furcht befreiet, nachdem er vier und einen halben Monat lang von den heilsamen Wirkungen der Grafenberger Kur an mehr als 500 Kranken von beiden Geschlechtern, von jedem Alter und jeder Konstitution, Zeuge gewesen war. Nach der Anwendung der kalten Waschungen, Begießungen und Bäder unmittelbar nach dem Schwitzen, friert der Körper nicht, sondern er wird wärmer, indem eine kräftige Reaktion eintritt; dabei ist zu bemerken, dass man in der ersten Zeit der Wasserkur allmählich bei dem Waschen, Baden und Begießen zuerst ein Wasser von 18° + R. nimmt, und allmählich kälter, zuletzt selbst nur von 6° über Null. „Bei dieser Gelegenheit“ — sagt Sauvan (a. a. O. S. 22) sehr richtig — „ist es nötig, die Furcht zu entfernen, welche eine große Menge Personen empfinden, wenn sie mit erhitztem und vom Schweiße triefenden Körper kalt trinken oder sich kalt baden sollen; flenn die Erfahrung von mehreren Jahrhunderten scheint bewiesen zu haben, dass Tausende von Personen, wenn sie, während sie erhitzt waren und schwitzten, getrunken haben, Lungen-, Herz-, Gehirn-, Leberentzündungen und Schlagflüsse sich zugezogen, und oft daran gestorben sind; und doch sieht man anderseits zu Gräfenberg Hunderte mit Schweiß bedeckt und mit erhitzter Haut, kaltes Wasser in Menge trinken und sich in eiskalte Bäder, stürzen, ohne dass auch nur ein Beispiel angeführt werden könnte, welches einen nachteiligen Erfolg bewiese. Noch mehr wird man über diese Behandlung beruhigt, wenn man sieht, dass eine so weise Regierung, wie die österreichische, deren Beispiel schon von vielen anderen Staaten Deutschlands nachgeahmt worden ist, besorgt für die Gesundheit ihrer Untertanen und eine sehr strenge Medizinalpolizei unterhaltend, zu dieser Anwendung in der Überzeugung aufmuntert, dass sie ohne Gefahr ist. Um diese zwei verschiedenen Tatsachen mit ihren Erfolgen zu begreifen, welche dem Anscheine nach so widersprechend sind, muss man die Ursachen in der Art, den Schweiß zu erregen suchen, die in beiden Fällen eine ganz andere ist. Wenn die Transpiration das Ergebnis eines aromatischen und erhitzenden Mittels, oder gar einer heftigen Bewegung ist, wie nach dem Tanz, nach einer ermüdenden Arbeit, nach schnellem Reiten u. s. w., so schwitzt nicht allein die Haut, sondern der Atmungsprozess, die Zirkulation werden sehr beschleunigt und die zum Leben unentbehrlichen Eingeweide, das Hirn, das Herz, die Lungen, die Leber, sind in einem allgemeinen Zustande der Aufregung. Dieser Umstand findet bei den nach Grafenberger Art hervorgebrachten Schweiß nicht statt, welche bloß durch die Konzentration der Körperwärme vermittelst wollener Decken und den dadurch auf die Haut erzeugten Reiz, ohne alle Bewegung von Seiten des Kranken, erzeugt werden. Hier ist es nur die Haut, welche sich im aufgeregten Zustand befindet, wie ihre Röte und hohe Temperatur beweist, während die inneren Gebilde durch das unablässige Hinabschlucken kalten Wassers, welches den Schweiß unterhält, abgekühlt und erfrischt sind.
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