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Wert der Etymologie

Noch einmal: Es hat von jeher einen großen Reiz für die Menschen gehabt, etwas über die Geschichte ihrer Sprache zu erfahren. Die Sammeltätigkeit, zu welcher dieser Reiz geführt hat, heißt Etymologie. Vergleicht man etwa die Beispiele, welche Piaton in seinem Kratylos — scherzweise oder ernsthaft — von der Etymologie seiner Zeit gibt, mit unseren etymologischen Wörterbüchern von Diez und Kluge, so mag man allerdings bewundern, wie wir es so herrlich weit gebracht haben. Die griechischen und römischen Etymologen behaupteten Unsinn ohne Methode. Als in der Zeit der Humanisten die Lust an etymologischen Forschungen neu erstarkte, als man eine Zeitlang besonders alles auf das Hebräische als die angeblich älteste Sprache der Menschheit zurückführen wollte, wurde Methode in die Untersuchung gebracht, aber der Unsinn wurde wo möglich noch größer. Die vergleichende Sprachforschung, wie sie namentlich in Deutschland seit hundert Jahren getrieben wird, hat die Methode verbessert und den Unsinn auszumerzen gesucht. Eine Zeitlang hat man freilich im Sanskrit nicht viel anders als einst im Hebräischen die Muttersprache zu sehen geglaubt; da man aber vernünftigerweise vorwiegend die offenbare Ähnlichkeit mit den anderen indoeuropäischen Sprachen behandelte, gelangte man zu einer Unmenge von sichern und hübschen Ergebnissen. Dazu kam ein gemeinsamer Sammeleifer, eine mechanische Arbeitsteilung, so dass in der Tat die glaubhafte Geschichte von einer großen Zahl von Worten aus den schriftlichen Quellen festgestellt werden konnte. Aber die Sprachvergleichung konnte dem Reize nicht widerstehen, die Geschichte der Worte weiter zurückzuverfolgen, als die Quellen gestatteten. Die Geschichte begab sich auf vorhistorisches Gebiet und ahnte gar nicht, dass sie mit ihren Lautgesetzen nur Hypothesen aufstellte und dass die Verbindung mehrerer Hypothesen jedesmal die Wahrscheinlichkeit der Behauptungen mehr und mehr verkleinerte. Die Einsicht in die Mangelhaftigkeit der Lautgesetze hat die strengere Schule der Junggrammatiker aufkommen lassen; deren Arbeit dürfte aber, wie so oft bei Reformatoren zu beobachten ist, in ihren negativen Leistungen wertvoller sein als in den positiven.

Soll die Etymologie in unserem Sinne wertvoll werden, so müssen ihr zwei Tatsachen mehr als bisher bewußt und geläufig werden. Die eine ist die, dass alle Etymologie — wie gesagt — nur eine lächerlich kurze Zeit aus der Sprachgeschichte umfassen kann, höchstens einen Zeitraum von etwa vier Jahrtausenden, dass also die Etymologie nur Beispiele für die jüngste Entwicklung der Sprache liefert, sonst aber zur alten Frage nach der Entstehung der Sprache nichts beitragen kann.