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Sprachgebrauch

Wir haben von Anfang an die Frage nach der Pflanzenseele als eine Frage des Sprachgebrauchs aufgefaßt. Da können wir nun die weitere Frage nach dem Bewußtsein der Pflanzen noch allgemeiner ausdrücken, wenn wir den berühmten Satz wieder einmal genauer betrachten: es ist nichts im Verstande, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre. Man dachte bei der Aufstellung des Satzes noch nicht an Tier-und Pflanzenseelen und unterließ darum die Einschränkung auf den Menschen. Denn der Satz ist viel, viel älter als der Sensualismus, findet sich eigentlich schon bei Thomas und noch früher. Man hätte sagen müssen: es ist nichts im menschlichen Verstande, was nicht vorher in den menschlichen Sinnen gewesen wäre. Im menschlichen Verstande finden sich auch die Begriffe Gedächtnis, Bewußtsein, Seele. Auch in diesen Begriffen, so viel oder so wenig sie enthalten mögen, kann nichts sein, was nicht vorher in den menschlichen Sinnen gewesen wäre. Soweit die tierischen Sinne offenbare oder scheinbare Ähnlichkeit mit den menschlichen besitzen, können wir also die Begriffe Gedächtnis, Bewußtsein, Seele auf die Tiere anwenden. Je größer die Ähnlichkeit der Sinnesorgane, desto leichter die Anwendung. Die Pflanze aber hat keine Sinnesorgane, die sich außer durch die kühnsten Metaphern mit den menschlichen vergleichen können; in ihr also ein Bewußtsein oder eine Seele anzunehmen, geht doch wohl über die Sprache der Menschen hinaus. Den Reizbewegungen der Pflanze mögen innere Vorgänge entsprechen, die ganz unmenschlicher Art sind, himmlisch, engelhaft, was man will, nur eine Vergleichung mit den menschlichen Bewußtseinsvorgängen ist ausgeschlossen; denn Bewußtsein, Seele sind Worte der menschlichen Sprache. Und die Vorstellungen, die wir mit solchen Worten verbinden, können nichts enthalten, was nicht vorher in menschlichen Sinnen gewesen ist.

Diese Kritik des Begriffs Pflanzenseele ist eine notwendige Ergänzung des Begriffs Seele. In dieselbe Rubrik würde der theologische Streit über die Seele des ungeborenen Kindes gehören. Seitdem es gar gelungen ist, zwei verschiedene Tiere niederer Art durch Zusammenwachsen in einen einzigen Organismus zu verwandeln, ähnlich wie beim Okulieren der Pflanzen z. B. die Wurzel einer wilden Rose eine la France-Rose ernährt und erblühen läßt, ist der Seelenbegriff in eine ganz prekäre Lage gekommen. Immer wird für uns die Frage so lauten, ob die beobachteten Tatsachen uns zwingen, eine Ausdehnung des Seelenbegriffs Sprachgebrauch werden zu lassen.

Praktisch kann dieser Sprachgebrauch natürlich auch werden; wie ja unsere ganze Untersuchung lehrt, daß der Wortaberglaube menschliches Handeln bestimmt. Die Ausdehnung des Seelenbegriffs auf das noch ungeborene Kind hat in der alten Jurisprudenz eine Rolle gespielt; die Abtreibung der Frucht wurde vom kanonischen Rechte als ein Mord aufgefaßt von der Woche an, in welcher man die Beseelung des Embryo annahm. Noch in unserem heutigen Straf recht wirken diese Vorstellungen nach. Und im Orient spielen ältere und neuere Lehren von der Tierseele bekanntlich eine wichtige Rolle. Die Lehre der Pflanzenbeseelung hat in Indien zu sentimentalen Betrachtungen über die Behandlung der Pflanze geführt. Es ist nicht unmöglich, daß einmal eine Sekte das Verzehren von Pflanzen für eine Sünde erklären werde. Dann müßte die Menschheit verhungern oder auf die Herstellung von Nahrungsstoffen aus unorganischer Materie warten. Wenn nur nicht schließlich bei der Umwandlung unorganischer Stoffe in organische eben wieder Seelen erzeugt würden. Vergißt man, daß die Ausdehnung des Seelenbegriffs nur eine sprachliche Frage ist, so sind solche Konsequenzen möglich.