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Bewegungen von Pflanzen

Wer nun mit Fritz Schultze ("Vergleichende Seelenkunde") chemische Verwandtschaft, Kristallisation, Elektrizität u. s. w. ohne Seele aufzufassen bemüht ist, der Pflanze jedoch eine Seele zuschreibt, der denkt an diejenigen Erscheinungen des Pflanzenlebens, welche unser wissenschaftlicher Sprachgebrauch als durch Reize hervorgerufen umfaßt. Um die Lehre von der Pflanzenbeseelung eindringlich vorzutragen, genügt es offenbar nicht, auf die alltägliche Physiologie der Pflanzen hinzuweisen, trotzdem diese genau die gleichen Bewegungen aufweist, welche wir im vegetativen Leben der Tiere beobachten. So wie man meist von dem Instinkte der Tiere absieht und ihre bewußt zweckmäßigen Handlungen zusammenstellt, um das menschenähnliche Denken der Tiere zu beweisen, so hält man sich nicht an die Alltagsphysiologie der Pflanzen, sondern beobachtet ihre instinktartigen Bewegungen, ihre auf Empfindung zurückweisenden Äußerungen, um die tierähnliche Pflanzenseele zu beweisen. Es ist gewiß, daß die Pflanzen Bewegungen vollführen, ja sogar in Frische und Mattigkeit einen äußeren Habitus zeigen, den wir bei Tieren mit Empfindungen von Hunger und Durst zu verbinden pflegen. Jeder Freund der Pflanzen kennt ihren Wasserdurst und ihren Lichthunger. Auch daß Hunger und Durst sie bis zu einer gewissen Grenze Bewegungen ausführen lassen, ist bekannt. In der Literatur über die Pflanzenseele gibt es einige Fälle, die geradezu verblüffend wirken. Ein Eukalyptus hat einen Wasseiiauf mit einer sechzig Fuß langen Wurzel zuerst wagrecht, gradlinig erreicht, und hat dann den Wasserlauf dadurch weiter zu verfolgen gewußt, daß er seine Wurzel durch ein hoch in einer Mauer befindliches Loch von einem Zoll Durchmesser hindurchtrieb. Ein seiner Art nach kleines Pflänzchen, dessen Keim in einen Schacht gefallen war, hat einen Stengel von dreißig Ellen Höhe dem Lichte entgegenwachsen lassen. Solche außerordentliche Fälle zu zitieren ist überflüssig, weil die Empfindlichkeit der Pflanzen für Wasser und Licht allgemein ist. Und nur die Empfindlichkeit, die Reaktion auf Reize, soll ja festgestellt werden. Die Bewegungen, die die Pflanze auf Reize ausführt, sind gewöhnlich unmittelbar so wenig zu beobachten, wie die eines kleinen Stundenzeigers. Man hört das Gras nicht wachsen, man sieht es auch nicht wachsen. Aber Schnelligkeit ist nur ein relativer Begriff. Ist die Bewegung eines Blattes, das sich eigensinnig dem Lichte zuwendet, auch erst nach längerer Zeit wahrnehmbar, so ist sie doch vorhanden. Überdies gibt es ja einige dadurch berühmt gewordene Pflanzen, die Mimose, den Sonnentau, welche viel schnellere und darum auffallendere Bewegungen auf Reize ausführen. Der Sonnentau umklammert und verzehrt das Insekt, das diesem Fleischfresser Nahrung bietet, nicht anders, als der Polyp seine Beute faßt. Die Mimose gar klappt auf den Schrecken einer Berührung hin ihre Blätter zusammen, wie ein Mensch in Ohnmacht fällt. Es ist also über allem Zweifel erhaben, daß Tiere und Pflanzen gleichmäßig auf Reize mit Bewegungen reagieren können. Und selbst Ermüdung, Betäubung, Gewöhnung an Reize und dergleichen sind an Pflanzen beobachtet worden.

Was ist nun durch all dies für die Frage gewonnen, ob die Pflanze eine Seele habe, das heißt ob wir den Sprachgebrauch einführen sollen, von einer Pflanzenseele zu reden? Mit welchen Mitteln sollen und können wir die inneren Vorgänge in der Pflanze mit den uns als Bewußtsein sprachlich wohlvertrauten inneren Vorgängen des Menschen vergleichen (und ohne Vergleichung keine Ausdehnung des Seelenbegriffs), wenn uns für die entsprechenden Vorgänge im Pflanzenorganis-mus jede Ahnung einer Vorstellung fehlt? Man hat gesagt, es besitze die Pflanze Empfindungen, welche den Empfindungen unserer Sinne entsprechen. Was heißt das? Wörtlich: was heißt das? Wir wissen nicht einmal von einem besonders intelligenten, uns besonders vertrauten Tiere, wir wissen nicht einmal vom Hunde, ob seine Empfindungen den Empfindungen unserer Sinne entsprechen. Der Hund sieht und riecht wahrscheinlich ganz anders als wir. Die Menschenpsychologie weiß sehr wenig von den Elementen der menschlichen Erlebnisse, weiß fast nichts von den Elementen der tierischen Erlebnisse; da ist es doch vorlaut, von den Empfindungen der Pflanzen zu reden. Ich gehe meinetwegen noch viel weiter als die Verkünder einer Pflanzenseele, ich nehme meinetwegen an, daß manche Pflanzen oder alle Pflanzen Reizen ausgesetzt sind, welche sich nach Art der menschlichen Sinnesempfindungen einteilen lassen, daß die Wurzel ihre Nahrung riecht und schmeckt, daß die Blätter lichtempfindlich sind, daß die Mimose Tastempfindungen und durch Schall hervorgerufene Lufterschütterungen wahrnimmt. Das kann aber doch nichts anderes heißen, als daß die Molekularbewegungen der Wirklichkeitswelt, welche in das Menschengehirn durch die menschlichen Zufallssinne einwirken, irgendwie, doch ganz gewiß anders, auch auf den pflanzlichen Organismus einwirken. Wir Menschen, die wir nicht genau wissen, wie unser Hund uns sieht, die wir ganz gewiß nicht wissen, wie ein Insekt sieht, obgleich das Insekt Augen und Nerven hat, wir können doch nur höchst metaphorisch, ja eigentlich fast nur scherzhaft die Lichtempfindung der Baumblätter mit unserem Sehen vergleichen. Über die einfachen Sinne hinaus steht es ebenso. Die Begattung der Pflanzen ist der tierischen Begattung viel ähnlicher, als wir uns die Sinnesempfindungen der Pflanzen denen der Tiere ähnlich denken können; und doch fehlt uns jede Ahnung einer Vorstellung dafür, in welcher Weise eine Pflanze die geschlechtliche Begattung ihrer Blüten empfinden mag.