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Fortschritt im Denken

Oder aber die Ähnlichkeit des Neuen mit dem Begriff ist (subjektiv) geringer, unser Gedächtnis entgleist, die Erinnerung kommt zu Bewußtsein: wir erkennen nicht sofort wieder; dann weckt uns das Stolpern und wir bereichern den Begriff um eben den kleinen Unterschied, an dem wir uns gestoßen haben. Wie denn auch der Schlittschuhläufer oder Reiter mit jedem Sturz das Gedächtnis der respektiven Muskeln, ihre Übung, also seine Übung, bereichert und durch Stolpern lernt. Oder endlich wie das Kind durch Fallen gehen lernt. So lernt die Menschheit denken oder sprechen nicht durch die glatte, unbewußte Anwendung ihres Sprachschatzes, sondern durch das Stottern bei seiner zweifelhaften Anwendung. Wenn ich Herrn A oder B sehe und ihn nicht sofort (unbewußt) wiedererkenne, weil er grau geworden ist, wenn ich Frau G nicht sofort wiedererkenne, weil sie anstatt des gewohnten schwarzen Kleides eines von lila Farbe trägt, so lerne ich dadurch A, B oder G besser kennen. Der Fortschritt des menschlichen Denkens, das heißt die Entwicklung des menschlichen Sprachschatzes ist demnach nichts als: das durch Entgleisungsstöße veranlaßte Bemerken von Unterschieden zwischen ähnlichen Dingen, das Wahrnehmen der Verschmelzungsfehler, das Erkennen der Begriffsmängel und endlich die resignierte Anwendung zusammenfassender Begriffe, trotz dieser erkannten Mängel. Alle großen naturwissenschaftlichen Entdeckungen lassen sich darauf zurückführen, daß man entweder erkannt hat: "Dies ist nicht Frau G, trotzdem sie ähnlich aussieht oder heißt," — oder: "Dies ist Frau G, trotzdem sie lila geht".

Lavoisiers Entdeckung des Sauerstoffs gehört zur ersten Gruppe, Newtons Bestimmung der Sternberechnung als eines Falles von Schwerkraft, die Zusammenfassung (Hertz) von Licht und Elektrizität gehören zur zweiten Gruppe. Da wurden ein paar Begriffe einmal gesäubert, das andere Mal bereichert.

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