§ 17. Die Zweiseitigkeit der Bewußtseinsforschung als eine korrelative Problematik. Richtungen der Deskription. Synthesis als Urform des Bewußtseins
Sind uns aber der Anfang und die Aufgabenrichtung von vornherein klar, so ergeben sich, und zwar in unserer transzendentalen Einstellung, wichtige Leitgedanken für die weitere Problematik. Die Zweiseitigkeit der Bewußtseinsforschung (die Frage nach dem identischen Ich lassen wir jetzt noch unberücksichtigt) ist deskriptiv als eine untrennbare Zusammengehörigkeit zu charakterisieren, die Verbindungsweise, die Bewußtsein mit Bewußtsein einigt, als die der Bewußtseinsregion ausschließlich eigene der Synthesis. Nehme ich z. B. das Wahrnehmen dieses Würfels zum Thema der Beschreibung, so sehe ich in der reinen Reflexion, daß dieser Würfel kontinuierlich als gegenständliche Einheit gegeben ist in einer vielgestaltigen wandelbaren Mannigfaltigkeit bestimmt zugehöriger Erscheinungsweisen. Diese sind in ihrem Ablauf nicht ein zusammenhangloses Nacheinander von Erlebnissen. Sie verlaufen vielmehr in der Einheit einer Synthesis, dergemäß in ihnen ein und dasselbe als Erscheinendes bewußt wird. Der Würfel, der eine und selbe, erscheint bald in Naherscheinungen, bald in Fernerscheinungen, in den wechselnden Modi des Da und Dort gegenüber einem, obschon unbeachtet, stets mitbewußten absoluten Hier (im miterscheinenden eigenen Leibe). Jede festgehaltene Erscheinungsweise eines solchen Modus, etwa Würfel hier in der Nahsphäre, zeigt sich aber selbst wieder als synthetische Einheit einer Mannigfaltigkeit zugehöriger Erscheinungsweisen. Nämlich das Nahding als dasselbe erscheint bald von dieser, bald von jener Seite, und es wechseln die „visuellen Perspektiven“, aber auch die „taktuellen“, die „akustischen“ und sonstigen Erscheinungsweisen, wie wir bei entsprechender Richtung der Aufmerksamkeit beobachten können. Achten wir dann besonders auf irgendein Merkmal des Würfels, das sich in der Würfelwahrnehmung zeigt, z. B. auf die Gestalt oder Färbung des Würfels oder auf eine Würfelfläche für sich, oder auch auf deren Quadratgestalt, auf deren Farbe für sich usw., so wiederholt sich dasselbe. Wir finden stets das betreffende Merkmal als Einheit dahinströmender Mannigfaltigkeiten. Geradehin gesehen, haben wir etwa die eine unverändert bleibende Gestalt oder Farbe, in reflektiver Einstellung die zugehörigen Erscheinungsweisen, die in kontinuierlicher Folge sich aneinanderschließenden der Orientierung, der Perspektive usw. Dabei ist jede solche Erscheinungsweise in sich selbst, z. B. die Gestalt oder Farbenabschattung in sich selbst Darstellung von ihrer Gestalt, ihrer Farbe usw. So hat also das jeweilige cogito nicht in unterschiedsloser Leere sein cogitatum bewußt, sondern in einer deskriptiven Mannigfaltigkeitsstruktur von einem ganz bestimmten, gerade diesem identischen cogitatum wesensmäßig zugehörigen noetisch-noematischen Aufbau.
Parallele (wie sich in der Ausführung zeigt, überaus weitreichende) Beschreibungen wie für die sinnliche Wahrnehmung können wir für alle Anschauungen, also auch die der anderen Anschauungsmodi (wie der nachveranschaulichenden Wiedererinnerung und vorveranschaulichenden Erwartung) durchführen; z. B. auch das erinnerte Ding erscheint in wechselnden Seiten, Perspektiven usw. Um aber den Unterschieden der Modi der Anschauung genugzutun, z. B. dem, was Erinnerungsgegebenheit unterscheidet von Wahrnehmungsgegebenheit, kämen neue Beschreibungsdimensionen in Frage. Ein allgemeinstes bleibt aber für jederlei Bewußtsein überhaupt als Bewußtsein von etwas. Dieses Etwas, der in ihm jeweils "intentionale Gegenstand als solcher, ist bewußt als identische Einheit noetisch-noematisch wechselnder Bewußtseinsweisen, ob nun anschaulicher oder unanschaulicher.
Haben wir uns einmal der phänomenologischen Aufgabe der konkreten Bewußtseinsdeskription bemächtigt, so eröffnen sich uns wahre Unendlichkeiten vor der Phänomenologie nie erforschter Tatsachen, die alle auch als Tatsachen der synthetischen Struktur bezeichnet werden können, die den einzelnen cogitationes (als konkreten synthetischen Ganzheiten), und auch in bezug auf andere, noetisch-noematische Einheit geben. Erst die Aufhellung der Eigenheit der Synthesis macht die Aufweisung des cogito, des intentionalen Erlebnisses, als Bewußtsein-von, macht also die bedeutsame Entdeckung Franz Brentanos, daß die Intentionalität der deskriptive Grundcharakter der psychischen Phänomene sei, fruchtbar und legt die Methode einer deskriptiven — wie transzendental-philosophischen, so natürlich auch psychologischen — Bewußtseinslehre wirklich frei.