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§ 21. Der intentionale Gegenstand als transzendentaler Leitfaden

Die allgemeinste Typik, in der als Form alles Besondere beschlossen ist, wird bezeichnet durch unser allgemeines Schema ego-cogito-cogitatum. Auf sie beziehen sich die allgemeinsten Beschreibungen, die wir über Intentionalität, über die ihr zugehörige Synthesis usw. versucht haben. In der Besonderung dieser Typik und ihrer Deskription spielt aus leicht verständlichen Gründen der auf seiten des cogitatum stehende intentionale Gegenstand die Rolle des transzendentalen Leitfadens für die Erschließung der typischen Mannigfaltigkeit von cogitationes, die in möglicher Synthesis ihn als denselben vermeinten bewußtseinsmäßig in sich tragen. Der Ausgang ist ja notwendig der jeweils geradehin gegebene Gegenstand, von dem aus die Reflexion zurückgeht auf die jeweilige Bewußtseinsweise und auf die in dieser horizontmäßig beschlossenen potentiellen Bewußtseinsweisen, dann auf diejenigen, in denen er sonst als derselbe bewußt sein könnte in der Einheit eines möglichen Bewußtseinslebens. Halten wir uns noch im Rahmen der formalen Allgemeinheit, denken wir einen Gegenstand überhaupt in inhaltlich ungebundener Beliebigkeit als cogitatum und nehmen wir ihn in dieser Allgemeinheit als Leitfaden, so sondert sich die Mannigfaltigkeit möglicher Bewußtseinsweisen von demselben — der formale Gesamttypus — in eine Reihe scharf unterschiedener noetisch-noematischer Sondertypen. Mögliche Wahrnehmung, Retention, Wiedererinnerung, Vorerwartung, Signifikation, analogisierende Veranschaulichung sind z. B. solche Typen der Intentionalität, die zu jedem erdenklichen Gegenstand gehören, wie denn auch die zu ihnen gehörigen Typen synthetischer Verflechtung. Alle diese Typen besondern sich wieder in ihrem ganzen noetisch-noematischen Aufbau, sobald wir die leer gehaltene Allgemeinheit des intentionalen Gegenstandes besondern. Die Besonderungen können zunächst formal-logische (formal-ontologische) sein: also Modi des Etwas überhaupt, wie Einzelnes und letztlich Individuelles, Allgemeines, Mehrheit, Ganzes, Sachverhalt, Relation usw. Hier tritt auch der radikale Unterschied zwischen realen Gegenständlichkeiten in weitem Sinne und kategorialen auf, die letzteren zurückweisend auf einen Ursprung aus Operationen, aus einer schrittweise erzeugend-aufbauen-den Ich-Aktivität, die ersteren aus Leistungen einer bloß passiven Synthesis. Anderseits haben wir die material-ontologischen Besonderungen, anknüpfend an den Begriff des realen Individuums, der sich in seine realen Regionen scheidet, z. B. (bloßes) Raumding, animalisches Wesen usw., entsprechende Besonderungen für die zugehörigen formal-logischen Abwandlungen (reale Eigenschaft, reale Mehrheit, reale Relation usw.) nach sich ziehend.

Jeder sich nach diesen Leitfäden ergebende Typus ist nach seiner noetisch-noematischen Struktur zu befragen, ist systematisch auszulegen und zu begründen nach seinen Weisen des intentionalen Flusses und nach seinen typischen Horizonten und deren Implikaten usw. Hält man einen beliebigen Gegenstand in seiner Form oder Kategorie fest, und hält man beständig in Evidenz die Identität desselben im Wandel seiner Bewußtseinsweisen, so zeigt sich, daß sie, wie fließend sie auch sein mögen und wie unfaßbar nach letzten Elementen, sie doch keineswegs beliebige sind. Sie bleiben stets gebunden an eine Strukturtypik, die unzerbrechlich dieselbe ist, solange eben die Gegenständlichkeit gerade als diese und als so geartete bewußt bleibt und solange sie im Wandel der Bewußtseinsweisen in der Evidenz der Identität soll verharren können.

Eben diese Strukturtypik systematisch auszulegen, ist die Aufgabe der transzendentalen Theorie, die, wenn sie sich an eine gegenständliche Allgemeinheit als Leitfaden hält, Theorie der transzendentalen Konstitution eines Gegenstandes überhaupt als Gegenstandes der betreffenden Form oder Kategorie, zuhöchst Region, heißt. So erwachsen, zunächst unterschieden, vielerlei transzendentale Theorien, eine Theorie der Wahrnehmung und der sonstigen Typen von Anschauungen, eine Theorie der Signifikation, eine Urteilstheorie, eine Willenstheorie usf. Sie schließen sich aber einheitlich zusammen, nämlich mit Beziehung auf die übergreifenden synthetischen Zusammenhänge, sie sind funktionell zusammengehörig zu der formal-allgemeinen konstitutiven Theorie eines Gegenstandes überhaupt, bzw. eines offenen Horizontes möglicher Gegenstände überhaupt als Gegenstände möglichen Bewußtseins.

In weiterer Folge erwachsen dann konstitutive transzendentale Theorien, die sich, nun nicht mehr als formale beziehen, z. B. auf Raumdinge überhaupt, einzelne und im universalen Zusammenhang einer Natur, auf psychophysische Wesen, auf Menschen, auf soziale Gemeinschaften, auf Kulturobjekte, schließlich auf eine objektive Welt überhaupt — rein als Welt möglichen Bewußtseins, und transzendental als eine rein im transzendentalen Ego sich bewußtseinsmäßig konstituierende Welt. Das alles natürlich in der konsequent durchgeführten transzendentalen epoché. Doch dürfen wir nicht übersehen, daß nicht nur die Typen der als objektiv bewußten realen und idealen Gegenstände Leitfäden für konstitutive Untersuchungen sind, das ist in Fragestellung nach der universalen Typik ihrer möglichen Bewußtseinsmodi, sondern auch die Typen der bloß subjektiven Gegenstände, wie aller immanenten Erlebnisse selbst, sofern sie als Gegenstände des inneren Zeitbewußtseins einzeln und universal ihre Konstitution haben. In jeder Hinsicht heben sich Probleme einzeln für sich betrachteter Gegenstandsarten ab und Probleme der Universalität. Die letzteren betreffen das Ego in der Universalität seines Seins und Lebens und in Beziehung auf die korrelative Universalität seiner gegenständlichen Korrelate. Nehmen wir die einheitliche objektive Welt als transzendentalen Leitfaden, so weist sie zurück auf die durch die Einheit des ganzen Lebens durchreichende Synthesis der objektiven Wahrnehmungen und sonst auftretenden objektiven Anschauungen, vermöge welcher Synthesis sie jederzeit als Einheit bewußt ist und thematisch werden kann. Danach ist die Welt ein egologisches Universalproblem, desgleichen in rein immanenter Blickrichtung das gesamte Bewußtseinsleben in seiner immanenten Zeitlichkeit.