b. Das dramatische Kunstwerk
γ) Das letzte, wovon wir jetzt noch zu sprechen haben, betrifft die äußeren Mittel, deren Gebrauch für die dramatische Poesie, insofern sie, abgesehen von der wirklichen Aufführung, in ihrem eigenen Bereiche bleibt, offensteht. Sie beschränken sich auf die spezifische Art der dramatisch wirksamen Diktion überhaupt, auf den näheren Unterschied des Monologs, Dialogs usf. und auf das Versmaß. Im Drama nämlich ist, wie ich schon mehrfach anführte, nicht das reale Tun die Hauptseite, sondern die Exposition des innerer Geistes der Handlung sowohl in betreff auf die handelnden Charaktere und deren Leidenschaft, Pathos, Entschluß, Gegeneinanderwirken und Vermitteln als auch in Rücksicht auf die allgemeine Natur der Handlung in ihrem Kampf und Schicksal. Dieser innere Geist, soweit ihn die Poesie als Poesie gestaltet, findet daher einen gemäßen Ausdruck vorzugsweise in dem poetischen Wort als geistigster Äußerung der Empfindungen und Vorstellungen.
αα) Wie nun aber das Drama das Prinzip des Epos und der Lyrik in sich zusammenfaßt, so hat auch die dramatische Diktion sowohl lyrische als auch epische Elemente in sich zu tragen und herauszustellen. Die lyrische Seite findet besonders in dem modernen Drama, überhaupt da ihre Stelle, wo die Subjektivität sich in sich selbst ergeht und in ihrem Beschließen und Tun immer das Selbstgefühl ihrer Innerlichkeit beibehalten will; doch muß die Expektoration des eigenen Herzens, wenn sie dramatisch bleiben soll, keine bloße Beschäftigung mit umherschweifenden Gefühlen, Erinnerungen und Betrachtungen sein, sondern sich in stetem Bezug auf die Handlung halten und die verschiedenen Moment derselben zum Resultate haben und begleiten. - Diesem subjektiven Pathos gegenüber betrifft als episches Element das objektiv Pathetische vornehmlich die mehr gegen den Zuschauer herausgewendete Entwicklung des Substantiellen der Verhältnisse, Zwecke und Charaktere. Auch diese Seite kann wieder einen zum Teil lyrischen Ton annehmen und bleibt nur insoweit dramatisch, als sie nicht aus dem Fortgang der Handlung und aus der Beziehung zu derselben selbständig für sich heraustritt. Außerdem können dann, als zweiter Rest epischer Poesie, erzählende Berichte, Schilderungen von Schlachten und dergleichen mehr eingeflochten werden; doch auch sie müssen im Dramatischen teils überhaupt zusammengedrängter und bewegter sein, teils von ihrer Seite gleichfalls sich für den Fortgang der Handlung selbst notwendig erweisen. - Das eigentlich Dramatische endlich ist das Aussprechen der Individuen in dem Kampf ihrer Interessen und dem Zwiespalt ihrer Charaktere und Leidenschaften. Hier können sich nun die beiden ersten Elemente in ihrer wahrhaft dramatischen Vermittlung durchdringen, wozu dann noch die Seite des äußerlichen Geschehens kommt, welches das Wort gleichfalls in sich aufnimmt; wie z. B. das Abgehen und das Auftreten der Personen meistens vorher verkündigt und auch sonst ihr äußeres Gehaben häufig von anderen Individuen angedeutet wird. - Ein Hauptunterschied nun in allen diesen Rücksichten ist die Ausdrucksweise sogenannter Natürlichkeit, im Gegensatze einer konventionellen Theatersprache und deren Rhetorik. Diderot, Lessing, auch Goethe und Schiller in ihrer Jugend wendeten sich in neuerer Zeit vornehmlich der Seite realer Natürlichkeit zu: Lessing mit voller Bildung und Feinheit der Beobachtung, Schiller und Goethe mit Vorliebe für die unmittelbare Lebendigkeit unverzierter Derbheit und Kraft. Daß Menschen wie im griechischen, hauptsächlich aber - und mit dem letzteren Ausspruch hat es seine Richtigkeit - im französischen Lust- und Trauerspiel miteinander sprechen könnten, ward für unnatürlich erachtet. Diese Art der Natürlichkeit aber kann bei einer Überfülle bloß realer Züge leicht wieder nach einer anderen Seite ins Trockene und Prosaische hineingeraten, insofern die Charaktere nicht die Substanz ihres Gemüts und ihrer Handlung entwickeln, sondern nur, was sie in der ganz unmittelbaren Lebendigkeit ihrer Individualität ohne höheres Bewußtsein über sich und ihre Verhältnisse empfinden, zur Äußerung bringen. Je natürlicher die Individuen in dieser Rücksicht bleiben, desto prosaischer werden sie. Denn natürliche Menschen verhalten sich in ihren Unterredungen und Streitigkeiten überwiegend als bloß einzelne Personen, die, wenn sie ihrer unmittelbaren Besonderheit nach geschildert sein sollen, nicht in ihrer substantiellen Gestalt aufzutreten imstande sind. Und hierbei kommt denn die Grobheit und Höflichkeit, in bezug auf das Wesen der Sache, um welche es zu tun ist, letztlich auf dasselbe hinaus. Wenn nämlich die Grobheit aus der besonderen Persönlichkeit entspringt, die sich den unmittelbaren Eingebungen einer bildungslosen Gesinnung und Empfindungsweise überläßt, so geht die Höflichkeit umgekehrt wieder nur auf das abstrakt Allgemeine und Formelle in Achtung, Anerkennung der Persönlichkeit, Liebe, Ehre usf., ohne daß damit irgend etwas Objektives und Inhaltsvolles ausgesprochen wäre. Zwischen dieser bloß formellen Allgemeinheit und jener natürlichen Äußerung ungehobelter Besonderheiten steht das wahrhaft Allgemeine, das weder formell noch individualitätslos bleibt, sondern seine doppelte Erfüllung an der Bestimmtheit des Charakters und der Objektivität der Gesinnungen und Zwecke findet. Das echt Poetische wird deshalb darin bestehen, das Charakteristische und Individuelle der unmittelbaren Realität in das reinigende Element der Allgemeinheit zu erheben und beide Seiten sich miteinander vermitteln zu lassen. Dann fühlen wir auch in betreff auf Diktion, daß wir, ohne den Boden der Wirklichkeit und deren wahrhafte Züge zu verlassen, uns dennoch in einer anderen Sphäre, im ideellen Bereiche nämlich der Kunst befinden. Von dieser Art ist die Sprache der griechischen dramatischen Poesie, die spätere Sprache Goethes, zum Teil auch Schillers und in seiner Weise auch Shakespeares, obschon dieser, dem damaligen Zustande der Bühne gemäß, hin und wieder einen Teil der Rede der Erfindungsgabe des Schauspielers anheimstellen mußte.
ββ) Näher nun zweitens zerscheidet sich die dramatische Äußerungsweise zu Ergüssen der Chorgesänge, zu Monologen und Dialogen. -Den Unterschied des Chors und Dialogs hat bekanntlich das antike Drama vorzugsweise ausgebildet, während im modernen dieser Unterschied fortfällt, indem dasjenige, was bei den Alten der Chor vortrug, mehr den handelnden Personen selbst in den Mund gelegt wird. Der Chorgesang nämlich, den individuellen Charakteren und ihrem inneren und äußeren Streit gegenüber, spricht die allgemeinen Gesinnungen und Empfindungen in einer bald gegen die Substantialität epischer Aussprüche, bald gegen den Schwung der Lyrik hingewendeten Weise aus. In Monologen umgekehrt ist es das einzelne Innere, das sich in einer bestimmten Situation der Handlung für sich selbst objektiv wird. Sie haben daher besonders in solchen Momenten ihre echt dramatische Stellung, in welchen sich das Gemüt aus den früheren Ereignissen her einfach in sich zusammenfaßt, sich von seiner Differenz gegen andere oder seiner eigenen Zwiespältigkeit Rechenschaft gibt oder auch langsam herangereifte oder plötzliche Entschlüsse zur letzten Entscheidung bringt. - Die vollständig dramatische Form aber drittens ist der Dialog. Denn in ihm allein können die handelnden Individuen ihren Charakter und Zweck sowohl nach selten ihrer Besonderheit als in Rücksicht auf das Substantielle ihres Pathos gegeneinander aussprechen, in Kampf geraten und damit die Handlung in wirklicher Bewegung vorwärtsbringen. Im Dialoge läßt sich nun gleichfalls wieder der Ausdruck eines subjektiven und objektiven Pathos unterscheiden. Das erstere gehört mehr der zufälligen besonderen Leidenschaft an, sei es nun, daß sie in sich zusammengedrängt bleibt und sich nur aphoristisch äußert oder auch aus sich herauszutoben und vollständig zu explizieren vermag. Dichter, welche durch rührende Szenen die subjektive Empfindung in Bewegung bringen wollen, bedienen sich besonders dieser Art des Pathos. Wie sehr sie dann aber auch persönliches Leiden und wilde Leidenschaft oder den unversöhnten inneren Zwist der Seele ausmalen mögen, so wird dadurch das wahrhaft menschliche Gemüt doch weniger bewegt als durch ein Pathos, in welchem sich zugleich ein objektiver Gehalt entwickelt. Deswegen machen z. B. die älteren Stücke Goethes, so tief auch der Stoff an sich selber ist, so natürlich auch die Szenen dialogisiert sind, im ganzen weniger Eindruck. Ebenso berühren die Ausbrüche unversöhnter Zerrissenheit und haltungsloser Wut einen gesunden Sinn nur in geringem Grade; besonders aber erkältet das Gräßliche mehr, als es erwärmt. Und da kann der Dichter die Leidenschaft noch so ergreifend schildern, es hilft nichts: man fühlt das Herz nur zerschnitten und wendet sich ab. Denn es liegt nicht das Positive, die Versöhnung darin, welche der Kunst nie fehlen darf. Die Alten dagegen wirkten in ihrer Tragödie vornehmlich durch die objektive Seite des Pathos, dem zugleich, soweit die Antike es fordert, auch die menschliche Individualität nicht abgeht. Auch Schillers Stücke haben dieses Pathos eines großen Gemüts, ein Pathos, das durchdringend ist und allenthalben sich als Grundlage der Handlung zeigt und ausspricht. Besonders diesem Umstände ist die dauernde Wirkung zuzuschreiben, in welcher die Schillerschen Tragödien, hauptsächlich von der Bühne herab, auch heutigentags noch nicht nachgelassen haben. Denn was allgemeinen, anhaltenden, tiefen dramatischen Effekt macht, ist nur das Substantielle im Handeln: als bestimmter Inhalt das Sittliche, als formell die Größe des Geistes und Charakters, in welcher wiederum Shakespeare hervorragt.
γγ) Über das Versmaß endlich will ich nur wenige Bemerkungen hinzufügen. Das dramatische Metrum hält am besten die Mitte zwischen dem ruhigen, gleichförmigen Strömen des Hexameters und zwischen den mehr abgebrochenen und eingeschnittenen lyrischen Silbenmaßen. In dieser Rücksicht empfiehlt sich vor allen übrigen das jambische Metrum. Denn der Jambus begleitet in seinem vorschreitenden Rhythmus, der durch Anapäste einerseits auffahrender und eilender, durch Spondeen gewichtiger werden kann, den fortlaufenden Gang der Handlung am angemessensten, und besonders hat der Senarius einen würdigen Ton edler, gemäßigter Leidenschaft. Unter den Neueren bedienen sich umgekehrt die Spanier der vierfüßigen, ruhig verweilenden Trochäen, welche, teils mit vielfachen Reimverschlingungen und Assonanzen, teils reimlos, sich für die in Bildern schwelgende Phantasie und die verständigspitzen Auseinandersetzungen, die das Handeln mehr aufhalten als fördern, höchst passend erweisen, während sie außerdem für die eigentlichen Spiele eines lyrischen Scharfsinns noch Sonette, Oktaven usf. einmischen. In ähnlicher Weise stimmt der französische Alexandriner mit dem formellen Anstände und der deklamatorischen Rhetorik bald gemessener, bald hitziger Leidenschaften zusammen, deren konventionellen Ausdruck das französische Drama künstlich auszubilden bemüht gewesen ist. Die realistischeren Engländer dagegen, denen auch wir Deutsche in neuerer Zeit gefolgt sind, haben wieder das jambische Versmaß, welches bereits Aristoteles (Poetik, c. 4) als das mâlista lechtichon tôn metrchn bezeichnet, festgehalten, jedoch nicht als Trimeter, sondern in einem weniger pathetischen Charakter mit vieler Freiheit behandelt.