Zum Hauptinhalt springen

Sprache der Tiere

Wenn man nach der Sprache der Tiere fragt, so läßt man sich durch die Analogie zu leicht verleiten, die Sprache in den Tönen zu suchen, die sie hervorbringen. Und selbst Darwin scheint es schon für eine Kühnheit zu halten, wenn er neben den Kehltönen der Tiere auch noch auf ihre Instrumentalmusik hinweist, auf die Töne, die sie mit ihren Gliedmaßen hervorbringen.

Nach Darwin gibt es eine Grillenart (bekanntlich sind es hauptsächlich die Grillen, welche anstatt geblasener Töne Instrumentalmusik machen), deren beide Geschlechter in den Vorderbeinen einen merkwürdigen Hörapparat besitzen.

Bienen, die doch auch keine Vokalstimme haben, können verschiedene Gemütsbewegungen durch ihr geigenartiges Instrument ausdrücken; und nach Müller lassen die Männchen beim Verfolgen des Weibchens ein singendes Geräusch laut werden.

Es wäre also nicht ausgeschlossen, dass das Streichen der Insektenbeine über die Flügeldecken Mitteilungen erzeugte wie die Kehltöne der Nachtigall und die Gedichte des Lyrikers. Und wie man von jungen Mädchen vielleicht physiologisch richtig sagt, dass ihnen Musik in die Beine gehe (weil bei so leidenschaftlichen Tänzerinnen die Wahrnehmung des Rhythmus nicht so sehr das musikalische Empfinden als vielmehr Bewegungsimpulse auslöst), so mag Sprechen und Hören, Geben und Empfangen von Mitteilungen, kurz die Sprache in den Beinen von Insekten stecken, wie man sonst wieder in den Tastorganen der Ameisen Sprachorgane zu sehen geglaubt hat.

Auch von Amphibien ist es bekannt, selbst von den Fischen wird es neuerdings behauptet, dass die Männchen zur Zeit der Werbung Töne von sich geben. Es ist kein Zweifel, dass die Weibchen solche Töne als schön, das heißt als musikalisch empfinden, wobei es ganz gleichgültig ist, ob das menschliche Ohr diese Werbungsgeräusche schön oder häßlich findet.

In die musikalische Werbungstonart gerät auch der Redner auf der Tribüne oder Kanzel, wenn er so leidenschaftlich erregt wird wie ein brünstiger Frosch, oder wenn der Redner solche Erregung heuchelt. Der ganze Unterschied zwischen alter und neuer Schauspielkunst mag darauf zurückzuführen sein, dass jene noch bei den musikalischen Werbungstönen der Redner stehen geblieben ist, diese die Sprache möglichst von ihrem musikalischen Ursprung loslösen möchte. Jene heuchelt Hitze, diese heuchelt Kälte.

So mögen Gesang, Tanz und Sprache allerdings auf uralte Werbungstöne gemeinsam zurückzuführen sein. Auf die Darstellung der Beobachtungen durch Darwin (II, S. 357 u. f.) mag Wilhelm Scherer seinen verunglückten Anlauf zu einer Poetik gestellt haben. Eine ernsthafte Poetik wird aber nicht möglich sein, bevor das Material der Poesie, die Worte der menschlichen Sprache, nicht besser verstanden worden sind als bisher.

Ist aber Sprache nichts anderes als Mitteilung von Gedächtniszeichen, so ist gar kein Grund abzusehen, weshalb gerade das Gehör der vermittelnde Sinn sein müsse. Taubstumme und mitunter Gelehrte verstehen bloß mit den Augen. Der Geruch, der beim Menschen beinahe zu einem Vorkoster verkümmert ist, der Geruch ist offenbar beim Hunde ein viel tätigerer Sinn. Der Hund erkennt eine Menge Dinge am Geruch, das heißt seine Gedächtniszeichen haften irgendwo im Geruchsorgan, und der Fortschritt der Menschen gegen die Tierwelt besteht hauptsächlich darin, dass sie ihre wichtigsten Gedächtniszeichen, die Töne, selbst hervorrufen können, während der Hund höchstwahrscheinlich das riechende Gedächtniszeichen nicht hervorrufen kann. Wer nur eine Geruchssprache besitzt, kann sich wahrscheinlich nicht mitteilen.