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Griechen

Beispiele aus Homeros und Hesiodos (siehe Lersch, Sprachphilosophie der Alten I, S. 3—18) lassen sich schwer wiedergeben, ohne eine genauere Kenntnis des Griechischen vorauszusetzen, als bei den sonst gegebenen Proben der Fall war. Aber schon die Tatsache, dass Dichter in ihren Werken ernsthaft Etymologie trieben, ist sehr belehrend. Goethe hat ähnliche Spielereien im zweiten Teil des Faust versucht (einmal in direkter Nachahmung des Hesiod, Vers 270), ohne die beabsichtigte komische Wirkung zu erreichen. Homeros und Hesiodos aber wollten ganz ehrlich religiös-poetische Wirkungen erzielen.

Auch die Beschäftigung der griechischen Philosophen mit der Etymologie hat für uns etwas Fremdartiges. Wir dürfen eben nicht vergessen, dass das griechische Wort Etymon nicht etwa "Stamm" oder "Wurzel" bedeutet, sondern vielmehr das Wahre, das Echte, dass also allerdings zunächst die Philosophen berufen schienen, hinter dem Laut der Götternamen die Wahrheit zu suchen. Es wirkte hier die abenteuerliche Vorstellung mit, dass den Dingen ihre Namen durch eine höhere Macht gegeben seien und dass diese Macht die Wahrheit in den Laut hinein geheimnist habe. Wir werden an anderer Stelle sehen, wie unsicher, halb im Ernst halb im Scherz, Sokrates oder vielmehr Platon diesen Bemühungen gegenüberstand.

Bei Aristoteles müssen wir von seinem Gerede über den schlecht beobachteten Unterschied zwischen Tier- und Menschenlauten absehen, um zu seiner Etymologie zu gelangen. Und da ist das Ergebnis ziemlich negativ; er versteht unter Etymologie jede Ableitung eines Wortes aus einem anderen, aber bei aller Nüchternheit hat er doch das Verdienst, auf die Bedeutung der Metapher für die Wortbedeutung schon hingewiesen zu haben. Er und seine Nachfolger aber, bis zu den phantastischen Neuplatonikern hinauf, mußten sich bei ihren Anstrengungen, die Bedeutung aus dem Wortlaute zu erklären, immer im Kreise herum bewegen, weil sie bei allen ihren Gegensätzen doch immer an eine verstandesmäßige Herstellung der Sprache dachten. Das 18. Jahrhundert machte dann in seinem Rationalismus denselben Fehler. Man sah nicht ein, dass der menschliche Verstand, soweit er besonders als das Denken bezeichnet wird, mit der Sprache zusammenfällt, und ließ den Verstand den Schöpfer der Sprache sein. Man leitete — wie sich das ewig in der Geschichte der Philosophie wiederholt — die große Armut von der großen pauvrete her. Man erkannte und benannte schon die beiden Hauptquellen der Sprachbildung: die Metapher und die Onomatopöie. Aber ganz abgesehen von der Schülerhaftigkeit der gewählten Beispiele ahnte niemand, wie tief das Metaphorische die Sprachbildung beherrsche, und konnte noch viel weniger ahnen, was uns erst zum Bewußtsein gekommen ist, dass nämlich auch die offenbarsten Klangnachahmungen ohne Mitwirkung der Metapher nicht zustande gekommen wären. Auf die sogenannten etymologischen Regeln der Griechen einzugehen liegt keine Veranlassung vor. Dilettantismus wäre der höflichste Ausdruck für ihre Bemühungen, die zufällig beobachteten Veränderungen der Laute in Gesetze zu bringen.

Dieses ganz unwissenschaftliche Treiben einer kindlichen Phantasie war es ja eben, was für die Etymologie ebenso unfruchtbar wurde wie fruchtbar für die Legendenbildung. Unsere Volksmärchen mögen mitunter so entstanden sein in den Köpfen poetischer Kinder und Weiber. Da hatte z. B. die sogenannte Göttin Athene von altersher den Beinamen Trito geneia. Niemand verstand das Wort, also wurde tapfer darauf los etymologisiert. Es hätte "die von einem Triton Geborene" heißen können. Also wurde etwas, was wie Triton klang, zu ihrem Vater gemacht. Dann hieß wieder in einer Mundart der Insel Kreta Triton so viel wie Kopf. Man nannte sie also dort die aus dem Kopf geborene Göttin. Und aus dieser kindlichen Volksetymologie, die doch für unser Empfinden etwas Orientalisch-Ekelhaftes hätte, wären wir an die Vorstellung nicht gewöhnt, scheint die schöne Göttersage entstanden zu sein, die unsere armen Jungen heute noch lernen müssen. Aus dem Kopfe war sie entstanden, also natürlich aus dem Kopf des Zeus. Dazu mußte der Kopf auseinander geschlagen werden, mit einem Hammer, den Hammer schwang Hephaistos. Ganz ähnlich mag die Sage von Dionysos entstanden sein. Die Bedeutung einer Silbe in irgend einem Dialekt wurde ausgedeutet; und wenn das Märchen gefiel, wurde es von ganz Griechenland angenommen. Ganz sichtbarlich ist auch die Sage, dass die Amazonen sich die eine Brust abgeschnitten hätten, so eine Volksetymologie. Und ein deutscher Dichter vom Range Heinrich von Kleists liegt so sehr im Banne der Antike, dass er diese Greuel in seiner Penthesilea mit allem Zauber der Poesie wieder zu beleben sucht. Wer weiß, wie viele solche etymologische Gespenster noch unter uns umgehen. Unsere slawischen Nachbarn schimpfen uns heute noch die "Stummen" (nemci), nach einer falschen Volksetymologie.