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Träumen

Träumen heißt die Tätigkeit der Seele im Schlafen. Vielleicht träumen wir während des ganzen Schlafes, jedenfalls aber oft gegen Morgen, kurz vor dem Erwachen. Das Eigentümliche des Traumes ist: Die Sinne funktionieren, aber die Sinnenreize sind mehr zentrale und entstammen weniger der Außenwelt, so daß man nicht wirkliche Wahrnehmungen hat, sondern phantastische Illusionen und Halluzinationen. Die Vorstellungen treten bunt und regellos auf, unkontrolliert durch die Wirklichkeit und die Arbeit der Apperzeption, und nur durch die assioziativen Gesetze der Reproduktion bestimmt. Die Schranken von Raum und Zeit verschwinden, unsere Kräfte scheinen zu wachsen, wir glauben z.B. fliegen zu können, hören uns beredt sprechen, wissen viel mehr als sonst, versetzen uns in die entferntesten Gegenden, unterhalten uns mit Abgeschiedenen, hören wunderbare Musik, schauen herrliche Landschaften usw.; oder wir haben schwere Beängstigungen, sind im heftigen Streit mit Nahestehenden, begehen Verbrechen, deren wir uns selbst anklagen, sind Gefahren ausgesetzt, können zu einem bestimmten Ziel nicht gelangen, sind mitten in der Gesellschaft mangelhaft bekleidet usw.; aber alles dies ist Illusion und sensorische Funktion; unsere äußeren Willenshandlungen fehlen dagegen meist ganz. Der Traum als Ganzes hat stets etwas Seltsames, Barockes an sich; denn die Einheit des Bewußtseins ist locker; er wirft Personen und Sachen, Zeiten und Örter durcheinander, läßt sie plötzlich eintreten und wieder verschwinden, zerlegt unser Ich in zwei oder mehrere Teile, verschiebt, ja verzerrt unsere Vorstellungen; er befreit uns von den Rücksichten des Wachens und kombiniert oft merkwürdig treffend. Daher fällt uns im Traum manchmal eine Lösung einer schwierigen Aufgabe ein; im Traum kommt auch unsere Innerste Psyche zu Worte; uralte Erinnerungen und Wünsche, Hoffnungen und Gewissensbisse, Neigungen und Leidenschaften werden darin laut. Daher kann er eine erschütternde und mahnende Bedeutung für den haben, den er heimsucht. – So ist der Traum ein eigenes, illusionäres Leben, das sich neben das Leben im Wachen stellt und diesem gelegentlich den Rang streitig macht. Daher das poetische Doppelmotiv, das Leben als einen Traum, den Traum als ein Leben darzustellen (Calderon, Grillparzer).

Die Grundlagen, auf denen die Träume beruhen, sind: Körperliche Reize (Druck, Wärme, Kälte, Magenbeschwerden, Atembeschwerden u. dergl.), Nervenreize, sowohl äußere wie innere (Gerüche, Geräusche), wobei die Phantasie die kühnsten Deutungen vornimmt, Empfindungs- und Vorstellungsreste vom vorhergehenden Tage, unsere ganze Stimmung in physiologischer, psychischer und ethischer Hinsicht. – Ein besonderes Traumorgan mit Schopenhauer anzunehmen, ist überflüssig. Vgl. Hellsehen, Somnambulismus, Schlaf, Hypnose. Strümpell, Nat. n. Entstehung d. Träume, Lpz. 1874. Spitta, Schlafund Traumzustände d. Seele, Tübingen 1878. Wundt, Grundriß d. Psychol., Leipzig 1905, § 18, 7, S. 335 ff.