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Skepsis

Skepsis (gr. skepsis = Prüfung, Untersuchung, Bedenken) oder Skeptizismus nennt man diejenige philosophische Richtung, welche an der Wahrheit und dem Werte unseres Wissens zweifelt. Der Skeptizismus kann als vorübergehende Phase in der Entwicklung des einzelnen Philosophen oder als dauernde Ansicht des einzelnen oder ganzer Generationen auftreten; er kann als Ausgangspunkt des philosophischen Denkens vorkommen, oder zum Ergebnis eines Systems werden. Er setzt sich der unphilosophischen naiven Weltanschauung, der Wissenschaft, der [positiven Philosophie](positiven philosophie) und dem religiösen Glauben entgegen. Seine Gegensätze in der Philosophie sind der Dogmatismus, der auf dem Vertrauen zur Leistungsfähigkeit der menschlichen Vernunft beruht, und der Kritizismus, der die Grenzen der menschlichen Vernunft prüft, aber den korrekten Aufbau der Wissenschaft zum Ziel hat. Entstanden ist der Skeptizismus innerhalb der griechischen Philosophie. Zur Theorie erhoben, ist er ihre Selbstauflösung geworden. Anfänge skeptischer Denkweise finden wir schon bei den älteren griechischen Denkern, bei Herakleitos und Parmenides, bei Protagoras und Gorgias und den Megarikern. Doch erst nach Aristoteles (384-322) trat der Skeptizismus in bewußten Gegensatz zum Dogmatismus, und zwar entwickelte er sich in drei Phasen: Es entstand 1. der ältere Skeptizismus des Pyrrhon v. Elis (zur Zeit Alexanders) und des Timon v. Phlius (325-235), 2. die mittlere und neuere Akademie, vertreten durch Arkesilaos (316-241) und Karneades (zw. 214 u. 129), 3. die jüngere Skepsis des Änesidemus (um 100 v. Chr.) und Sextus Empiricus (um 200 v. Chr.). Das Mittelalter steht auf dem dogmatischen Standpunkte und schließt die skeptische Richtung aus. Nach 1000jähriger Pause ist der Skeptizismus wiederum erneuert durch M. Montaigne (1533-92), Pierre Charron (1641-1603), Franz Sanchez (1562-1632), dann, außer durch einige kirchliche Männer, durch Pierre Bayle (1647 bis 1706) und endlich durch Dav. Hume (1711-1776) und G. E. Schulze (1761-1833). Vgl. C. F. Stäudlin, Gesch. und Geist d. Skeptizismus. 1795. Tafel, Gesch. u. Kritik d. Skeptizismus. 1834. Brodhard, Les Sceptiques grecques. Paris 1887. Raoul Richter, der Skeptizismus in der Philosophie. Leipzig 1904.

Timon v. Phlius stellte die dreifache Frage: 1. Wie sind die Dinge? 2. Wie haben wir uns zu ihnen zu verhalten? 3. Was für Erfolg kann unser Verhalten haben? Auf diese Fragen gab er die Antworten: 1. Die Dinge sind unbeständig. 2. Wir dürfen unseren Wahrnehmungen und Vorstellungen nicht trauen. 3. Wir gelangen durch dieses Verhalten zur Nichtentscheidung (aphasia) und zur Gemütsruhe (ataraxia). So begründete er das Prinzip der Skepsis, die Isosthenie (isostheneia tôn logôn), d.h. die Idee, daß die Gründe für jede Behauptung und für ihr kontradiktorisches Gegenteil gleich stark sind (vgl. Isosthenie). Die mittlere Akademie war in ihrem Skeptizismus weniger radikal als Pyrrhon und Timon.

Die jüngeren Skeptiker stützten ihre Behauptung auf zehn [skeptische Tropen](skeptische tropen) (s. d.) oder Wendungen, die sie freilich schon den älteren Skeptikern zuschrieben und die dann auf fünf zusammengezogen, ja auf ein Dilemma gebracht wurden.

Während sich die antike Skepsis vor allem gegen die Gewißheit der sinnlichen Erkenntnis richtete, d.h. die Frage aufwarf, ob die Dinge in Wahrheit so beschaffen seien, wie sie sich den Sinnen darstellen, untersuchte die moderne Skepsis den ganzen Bau unseres Wissens. So wendete sich Hume (1711-1776), Kants Vorgänger, gegen den Begriff der Ursache und Substantialität und damit gegen die gesamte Physik. Der moderne Skeptizismus hat aber namentlich in Frankreich eine Hinneigung zur negativen Seite des Rationalismus, der nach seiner positiven Seite dogmatisch ist, gezeigt, so daß sich Rationalismus und Skeptizismus im Kampfe gegen den überlieferten Glauben trotz ihres inneren Gegensatzes verbinden konnten. Skeptisch-rationalistisch hat fast die gesamte vornehme Gesellschaft in Frankreich im 16., 17. und 18. Jahrhundert gedacht. Die Berechtigung der Skepsis gegenüber einem blinden Dogmatismus ist anzuerkennen; ja jeder Kritiker huldigt ihr teilweise. Aber als selbständige Richtung ist sie unfruchtbar und haltlos und muß durch den Kritizismus ersetzt werden. Die Behauptung, es gäbe keinen Satz, der nicht bezweifelt werden könne, nicht einmal diesen Satz selbst ausgenommen, hebt sich selbst auf und führt, wie bei den alten Skeptikern, zum Indifferentismus, welcher Geistestod ist. Wendet sich die Skepsis kritisch gegen bestimmte Gedanken und Richtungen, so ist sie berechtigt; richtet sie’ sich aber gegen den Verstand selbst, gegen seine Fähigkeit, irgend welche Wahrheit überhaupt zu finden, so ist sie haltlos und zeugt von Erschlaffung des Wissens- und Willenstriebes.