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Hering

Wir erinnern uns noch einmal der Heringschen Formel. Das Gedächtnis ist eine Funktion der organisierten Materie. Wir wissen nicht, was Materie ist, es ist ein gelehrteres Wort für das Ding, und weil wir nicht wissen, was die Dinge sind, darum nennen wir sie mit einem bißchen Fremdwörterei so. Wir wissen nicht, was ein Organismus ist; wir bezeichnen auch hier mit dem unverständlichen Worte ungefähr den Begriff Leben, weil uns das Wort "Leben" für das Unbekannte zu bekannt scheint. Wir wissen nicht, was eine Funktion, eine Abhängige, eigentlich bedeute. Denn Abhängigkeit setzt Ursache und Wirkung voraus, und wir wissen nichts von Ursache und Wirkung. Nur irgend einen Zusammenhang kann Funktion für uns bedeuten.

Es tut aber nichts, daß wir demnach auch nicht wissen, was das Gedächtnis sei. Denn Gedächtnis ist auch wieder nur so ein sammelndes Wort für einzelne Gedächtnisse und ist in der Welt der Wirklichkeiten so wenig vorhanden, wie ein Fluß neben seinen Tropfen, wie ein Bart neben seinen Haaren. Und die einzelnen Gedächtnisse im Nervensystem wieder werden dereinst für unsere Kenntnis nichts weiter sein, als Belege zu der allgemeinsten und weitesten Erfahrung, die man nach ihrer späten Entdeckung ganz verblüfft das Gesetz der Trägheit genannt hat. Das große Rätsel ist ungelöst (für die Sprache), wie die Nerven Eindrücke fortpflanzen. Daß aber die Eindrücke bleibende Gleise zurücklassen, daß die Tatsache des Gedächtnisses und der Zustand des Bewußtseins entsteht, das sollte die Herren nicht wundern, die als Prediger der Erhaltung der Kraft ihr Gelehrtenbrot verdienen.