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Traum

Der Schlaf ist dem Tode insofern gleich, als das bewußte Gedächtnis bei beiden fehlt. Aus dem Schlaf aber wacht man wieder auf, weil das unbewußte Gedächtnis (Atmung, Verdauung, Blutkreislauf u. s. w.) weiter bestanden hat. Im Schlaf also schwindet zugleich Sprachvermögen und Gedächtnis. Spricht jemand im Schlaf, so spricht er entweder aus dem Traum, oder er träumt, daß er spreche.

Im Traum ist das Gedächtnis nicht völlig aufgehoben, aber auch das Denken nicht. Wie die Sprache nichts enthält als abgekürzte Zeichen all der Vorstellungen, welche einmal durch unsere Sinne in unser Nervensystem eingezogen sind und da Geleise hinterlassen haben, so kann auch der Traum — die Sprache des Schlafes — nichts anderes vorstellen als Erinnerungen. Und es tritt die alte Frage heran: wodurch unterscheidet sich der Traum vom Wachen, die Sprache des Schlafes von der wachen Sprache?

Weit schärfer als alle früheren Psychologen hätte Stricker dies beantworten können, wenn er seine Lehre von den Sinnestäuschungen bis zu Ende verfolgt und sie mit seiner eigenen Lehre, daß alle Sprachvorstellungen Bewegungsvorstellungen seien, verknüpft hätte.

Stricker zeigt (Stud. ü. d. Bewußtsein S. 50 u. f.), daß wir eine Wahrnehmung nur dann für real halten (das soll heißen: nach außen projizieren), wenn Vorgänge von einem peripheren Nervenende aus in unser Bewußtsein dringen, das heißt also, wenn an einem Nervenende eine wirkliche Veränderung vor sich geht.

Entsteht nun in uns ein Erinnerungsbild, so erfolgt die Anregung immer innerlich, im Gehirn selbst, und wir unterscheiden so das Erinnerungsbild von der Wirklichkeit. Träume sind immer Erinnerungsbilder, können also eigentlich nie mit der Wirklichkeit verwechselt werden.

Nun kommt aber im Traum (und in verwandten Halluzinationen) dazu, daß wir das Gedächtnis überhaupt und auch für die Reihenfolge der Assoziationen verloren haben. Wir wissen im wachen gesunden Zustande genau, wie unser Ich (das heißt unser Gedächtnis) dazu gekommen ist, jetzt diese oder diese Gestalt vor Augen oder in der Vorstellung zu haben. Überrascht uns eine rätselhafte Vorstellung, so werden wir um so wacher, strengen unser Gedächtnis an und kontrollieren es. Im Traum können wir gar nicht überrascht werden, weil das Gedächtnis auch für Assoziationen schläft und wir darum auch die tollste Assoziation nicht kontrollieren.

Es ist eine hübsche Vermutung Strickers, daß wir nun im Schlafe darum so lebhaft auf innere Gehirnreize hin vorstellen (träumen), weil der vom peripheren Ende her gar nicht erregte Nerv für diese leichteren Reize empfänglich ist.

Der Traum ist also eine Reihe von Vorstellungen, welche ohne Gedächtnis für die Assoziationen vor sich gehen (durch den Schlaf der Sinne oder vielleicht auch durch irgend welche daraus folgende chemische Vorgänge ist das Gehirn inneren Innervationen besonders leicht zugänglich); und weil die Kontrolle fehlt, unterscheiden wir — während des Traumes — seine Gestalten nicht von einer Wirklichkeitswelt.