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Alte Bäume

Der entlassene Bismarck hat seinem Amtsnachfolger Caprivi manches übel genommen – aber wohl nichts so sehr, wie dass jener einige schöne alte Bäume im Garten des berliner Reichskanzlerpalais hat fällen lassen. Das hat er ihm nie verziehen. Bismarck war ein Landedelmann und kannte den Wert alter Bäume. Kennen wir ihn –?

Nein, wir kennen ihn nicht.

Erlauben Sie mir zunächst, mich vom Verdacht einer lavendelduftenden Sentimentalität zu reinigen. »Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit … « –, gemacht. Wir wissen alle, dass Autostraßen nötig sind; dass brave grüne Idyllen vernichtet werden müssen, wollen wir nicht in einem Naturschutzmuseum vegetieren; wir wissen, dass jede Zeit ihre Bedürfnisse hat, die alten Leuten immer ein wenig gotteslästerlich vorkommen –, soweit ist alles in Ordnung. Ich werde aber den Eindruck nicht los, als ob vieles, was heute in Deutschland auf diesem Gebiet geschieht, nur deshalb getan wird, damit etwas getan wird.

Das Land ist übervölkert; die Krise der Arbeitslosigkeit bedroht niemand so wie die Akademiker und die geistigen Berufe, die sich zu den Beamtenstellungen drängen, weil sie dort am sichersten versorgt sind. (»Der österreichische Beamte hat nichts – aber das hat er sicher.«) Wer im Krieg einmal beobachtet hat, wie die in der Etappe liegende Truppe auf Geheiß ihrer Offiziere gewissermaßen den ganzen Kriegsschauplatz mit Birkengeländern einzäunte; wie noch eine Küche gebaut wurde und noch ein Waschhaus und noch eine Unterkunft … , der wird verstanden haben, wie jeder, auch der vernünftigste Tätigkeitsdrang, in seine Karikatur umschlagen kann. Bis zu einer gewissen Grenze war das alles nützlich – dann wurde es albern und Tätigkeit um der Tätigkeit willen. Und das ist nicht nur unnütz; es ist schädlich.

Dasselbe sehen wir in den großen Städten. Wie da emsige Gschaftlhuber niederreißen, bauen, umbauen und neubauen –, das ist grauslich zu sehen. Wenn sie noch wenigstens einen großen Plan verwirklichten, wie es die Pariser mit dem nicht ganz ausgeführten, gradezu visionären Projekt des Barons Haussmannn tun –: dann wäre ja alles gut. Aber von einem einheitlichen Plan ist nichts zu spüren. Da murkst jedes Bezirksamt für sich, gepackt von diesem lächerlichen Ressortehrgeiz, der ums Verrecken dem andern, der ›Konkurrenz‹, nichts mitteilt, damit man den kümmerlichen Ruhm für sich allein habe – es ist jämmerlich.

Und es ist ehrfurchtslos.

Einen alten Baum umschlagen –, das ist eine Art Mord. Nun ist kein Leben ohne Tötung –, aber man mordet doch nicht zum Vergnügen, nur, um mit der Aufzeichnung der Mordprotokolle die Akten zu füllen. Doch, sie tuns. Sie haben nicht das leiseste Gefühl, dass das, was sie da zerstören, ein Stück Leben ist – es sind übrigens grade jene, die das Wort ›Deutschland‹ ununterbrochen im Munde führen, die es am wenigsten spüren. Was aber ist Deutschland, wenn nicht seine Wiesen, seine Wälder, seine Flüsse und seine Bäume? Hier ist der Urgrund jedes Landes – damit geht man nicht so um, wie sie es tun.

Immer, wenn ich von diesen Projekten höre, sehe ich die dahinterstehenden Treiber vor mir: selig in der geräuschvollsten Art von Faulheit, die es gibt: in der Organisation, wirtschaften sie umher, ordnen an und verbieten, entwerfen und planen … , hier tobt sich der soziale Geltungsdrang voll aus, er überschlägt sich; gehetzt von ihrem Willen, dürsten sie nach mehr, nach mehr – und die Stadtbewohner sind die Leidtragenden.

Darum hat Berlin tausend Gesichter und keines. Kein einheitlicher Wille eines großen Städtebauers gibt dieser Stadt Glanz und Profil; selbst wenn wir einen solchen hätten, wäre er längst von den Zünftigen abgewürgt, verbittert und gekündigt. Und sie regieren fast unumschränkt –, und wie sieht das aus, was da herauskommt!

Es gibt gewisse Bünde und Verbände, bei denen die Formalitäten der Aufnahme neuer Mitglieder zeremoniös und verwickelt sind. Man wird immer finden, dass mindestens die Hälfte aller Mitglieder für Aufnahme stimmen, weil sie Spaß am Zeremoniell haben. Die Wirkung ist ihnen ziemlich gleichgültig – wenn nur die bunten Bräuche wie an der Schnur ablaufen. Hierzu sind die Städtezerstörer eine schöne Parallele; ihre Arbeit ist eine Mischung von Roheit und Phantasielosigkeit, die nur Totes hervorbringt, weil sie vom Lebendigen nichts wissen.

Aus dem Getöse der Autos, den Schreien der Sirenen und den kurvenheulenden Bahnen steigt leise und fast unhörbar, ein Gedanke in die Welt, der neu und alt zugleich ist: der nämlich, dass sich die Seele nicht töten läßt. Daß sie derer spottet, die sie auf Flaschen ziehen wollen. Die sie registrieren wollen. Dies ist vielleicht eine seelenlose Zeit. Aber es ist eine, die die Seele sucht.

Nun ist ein alter Baum ein Stückchen Leben. Er beruhigt. Er erinnert. Er setzt das sinnlos heraufgeschraubte Tempo herab, mit dem man unter großem Geklapper am Ort bleibt. Und diese alten Bäume sollten dahingehen, sie, die nicht von heute auf morgen nachwachsen? Die man nicht ›nachliefern‹ kann? Die nicht in Serien, frei ab Wald, wieder aufgebaut werden können? Nur, damit Beamte etwas zu regieren haben? Nein, das muß nicht sein. Sie sollen stehen bleiben, uns Schatten spenden und leben – gegen die Tollheit betriebsseliger Kleinbürger im Geist und im Amt.

Peter Panter
Vossische Zeitung, 10.12.1930, Nr. 288.