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Ausbruch des Krieges.
Äneas sucht bei Euander Hilfe

Ganz Italien, so ruhig und friedsam es vorher war, geriet in plötzlichen Brand. In allen Häusern wurden die Schilde geglättet, die Speere gespitzt, die Äxte am Schleifstein gewetzt; die Trompeten riefen zum Marsch, die Fahnen flatterten. Alle Männer griffen zu den Waffen, die einen zogen zu Fuß ins Feld, die andern wirbelten hoch zu Roß den Staub des Weges auf, Streitwagen flogen hinter schnaubenden Pferden daher, die Ebenen glänzten von Gold und Eisen, von Panzer und Schwert. Aus allen Städten Hesperiens kamen die ersten Sprößlinge der alten Heldengeschlechter hervor, deren Ahnen zum Teile Götter und Göttersöhne waren. Unter den ersten schritt in männlicher Schönheit Turnus voran, seine herrlichen Waffen in der Hand, um einen ganzen Scheitel über die andern hervorragend. Ein dreifacher Busch wehte von seinem Helm, auf dessen Kuppel die glutatmende Chimära abgebildet war; auf seinem Schild war in getriebener Arbeit Io abgebildet, wie sie eben zur Kuh wird, ihr Hüter Argus und ihr Vater Inachus, der den Strom aus der Urne gießt. Hinter Turnus und seinen Helden drängten sich die Latiner und Rutuler, Aurunker, Sikaner und eine Menge ausonischer Völkerschaften; beschildete Fußgänger, vor allen Mezentius mit seinem Sohne Lausus, Aventinus, der Sohn des Herkules und der Rhea, Katillus und Koras, die Brüder des Tiburtus aus Tibur, und viele andere; dann kam die Reiterei der Volsker, schimmernd in Erzpanzern, geführt von ihrer jungfräulichen Fürstin Kamilla. Diese hatte ihre weiblichen Hände nie an Minervas Rocken und Webstuhl gewöhnt, im rauhen Männerkampf war sie aufgewachsen, auf ihrem flüchtigen Rosse hatte sie mit den Winden in die Wette laufen gelernt; sie flog so luftig dahin, daß sie über die Saatflur gesprengt wäre, ohne ein Hälmchen zu rühren, ohne eine Ähre zu knicken, und über die Meerflut, ohne die Sohlen zu netzen. Alt und jung blickte ihr verwundert nach, wie sie mit ihrer Schar durch Städte und Dörfer zog, den königlichen Purpur über die runden Schultern geworfen, das reiche Haar mit einer goldnen Nadel aufgebunden, Köcher und Bogen auf der Achsel und die scharfe Lanze in der Hand.

Diese gewaltigen Kriegsrüstungen erfüllten den Äneas und seine Trojaner mit schweren Sorgen. Da erschien jenem im Traume der Flußgott Tiberinus und stieg in meerblauem Kleide, die Haare mit einem Schilfkranze beschattet, zwischen Pappelstauden in Greisengestalt aus dem Strom empor. „Göttlicher Held“, sprach er, „verzage nicht! Der Groll der Himmlischen gegen dich ist verschwunden. Damit du nicht wähnest, ein nichtiges Traumbild zu schauen, will ich dir ein Zeichen sagen. Unter den Eichen des Ufers wirst du ein großes Mutterschwein liegend finden, das dreißig Frischlinge geboren hat: dort ist die Stelle, wo nach dreißig Jahren dein Sohn Askanius die verheißene Stadt Alba, Roms Mutterstadt, gründen wird. Für jetzt aber merke, wie du dich gegen die Gefahr zu schützen hast, die dich bedroht. Nicht weit von hier, im Tuskerlande, haben sich arkadische Pelasger, vom alten Könige Pallas abstammend, unter ihrem Fürsten Euander angesiedelt und auf einem hohen Hügel die Stadt Pallanteum nach dem Namen ihres Ahnherrn gegründet. Ob es gleich Griechen sind, so darfst du sie doch nicht scheuen, denn es sind unversöhnliche Feinde des Latinervolks. Mit diesen sollst du dich verbünden, und sie werden deine Kampfgenossen werden. Opfere der Göttermutter Juno, sobald du erwachst, und überwinde ihren Zorn durch Demut. Alsdann begib sich auf den Weg zu Euander.“

Der Gott verschwand, und der erwachte Äneas befolgte seinen Rat. Zwei Schiffe wurden aus der Flotte ausgewählt und mit auserlesenen Freunden bemannt. Noch ehe der Held mit ihnen abging, erfüllte sich das verkündigte Zeichen. Am Saume des Waldes, unter einer mächtigen Eiche, schneeweiß schimmernd, erblickte man ein Schwein mit dreißig Jungen. Der Mahnung des Stromgottes eingedenk, opferte Äneas die Mutter und ihre ganze Zucht der mächtigen Göttin Juno und versöhnte durch ein so herrliches Opfer ihr grollendes Herz. Dann schiffte er sich auf der Tiber ein, die, von dem Flußgotte gebändigt, glatt und eben dalag wie der Spiegel eines Landsees. Die Wellen selbst staunten und der Uferwald wunderte sich, als sie bunte Verdecke und Männer mit hellen Schilden den Strom fast ohne Ruderschlag heraufziehen sahen. Jene aber fuhren Tag und Nacht durch lange Krümmungen zwischen grünenden Hainen auf dem spiegelhellen Wasser dahin. Endlich am andern Morgen sahen sie von ferne Mauern, Häuser und eine Burg auf hohem Berge schimmern. Sogleich drehten sich ihre Schiffschnäbel dem Lande zu, wo der Berg, auf welchem die Stadt Pallanteum gelegen war, sich mit seinem Fuße in den Fluß verlor.

Es war gerade der Tag, an welchem der Arkadierkönig Euander, seinen Sohn Pallas an der Seite, mit dem Kleinen Rate seiner Stadt und den angesehensten Jünglingen in einem benachbarten Haine dem Herkules ein feierliches Opfer darbrachte. Der Weihrauch und das Blut dampfte auf den Altären, und das Opfermahl hatte schon begonnen. Als nun die Arkadier die hohen Schiffe zwischen den dunkeln Uferwäldern unter leisem Ruderschlag herbeischwimmen sahen, erschraken sie vor dem plötzlichen Anblicke und wollten den Schmaus verlassen. Doch der mutige Jüngling Pallas verbot ihnen, das Fest zu unterbrechen; er selbst ergriff seine Lanze, flog den Fremden entgegen und rief noch vom Hügel hinab: „Was führte euch auf diese ungewohnte Bahn, ihr Männer, woher seid ihr? Wohin trachtet ihr? Bringet ihr uns Krieg oder Frieden?“ Äneas antwortete von dem hohen Verdecke seines Schiffes, indem er das Zeichen des Friedens, den Olivenzweig, hoch in der ausgestreckten Rechten hielt: „Trojaner siehest du, Jüngling; Männer, zum Kampfe mit den Latinern gerüstet, welche uns Flüchtlinge mit Waffengewalt aus ihrem Lande vertreiben wollen. Wir kommen zum Könige Euander, um ihn um sein Bündnis und um Hilfe zu bitten.“ Als Pallas den großen Trojanernamen hörte, staunte er und rief in freudiger Bestürzung: „Willkommen, Gast, wer du auch seiest, tritt immerhin vor meinen Vater und nimm in unserer Wohnung fürlieb!“

Pallas hatte den Ausgestiegenen mit traulichem Handschlage begrüßt, und bald wiederholte der Held sein Gesuch vor dem Könige der Arkadier, ohne jedoch sich selbst zu nennen. Jener aber hatte Augen, Angesicht und Gestalt des Redenden lang mit Schärfe gemustert und erwiderte endlich: „Wie gern nehme ich dich auf, tapferer Sohn Trojas; dein Geschlecht, dein Name verbirgt sich mir nicht. Wort, Stimme und Gestalt deines großen Vaters Anchises steigt wieder in meiner Seele auf; wohl entsinne ich mich noch des Fürsten Priamus, als er, mit seinen Helden auf der Fahrt gen Salamis, das Reich seiner Schwester Hesione, der Gemahlin Telamons, zu besuchen, auch durch unser Arkadien gezogen kam. Mir sproßte damals der erste Flaum um die jungen Wangen, und mit Ehrfurcht betrachtete ich den König und die Häupter seines Volkes, vor allen aber den herrlichen Anchises. Ich konnte mein Verlangen nicht bezähmen, ihn anzureden und ihm meine Rechte darzubieten. Er folgte mir als Gastfreund in unsere Wohnung, und beim Abschied verehrte er mir Köcher und Pfeile, ein golddurchwirktes Kriegsgewand und zwei vergoldete Zäume, herrliche Gaben, die jetzt mein Sohn Pallas besitzt. Darum dürfet ihr euch zum voraus als meine Verbündeten betrachten, und morgen frühe schon sollt ihr, verstärkt durch unsern Beistand, nach eurem Lager zurückkehren. Unterdessen begehet mit uns dieses schöne Jahresfest, das wir nicht verschieben dürfen.“ So sprach er, hieß die aufgeräumten Becher und Speisen wieder zurückbringen und die Trojaner auf den Rasenbänken Platz nehmen, den Äneas selbst aber führte er zu einem herrlichen gepolsterten Sessel aus Ahorn, über den ein zottiges Löwenfell gebreitet war. Der Priester des Altares und auserlesene Jünglinge brachten geröstete Stücke der Stiere herbei, häuften das Brot in Körben auf und reichten um die Wette Wein herum.

Den reichlichen Schmaus würzte der König Euander mit einer schönen Erzählung von der Veranlassung dieses Opfers, indem er mit den Fingern seinen Gästen eine Felsenkluft wies, in welcher der gräßliche Halbmensch Kakus, der Sohn des Vulkanus, gehaust, der dem Herkules die erbeutete Rinderherde des Riesen Geryones stahl und von jenem bezwungen wurde. Für den Sieg über dieses Untier brachten die dankbaren Arkadier noch immer dem Herkules als Schutzgott der Gegend ein Jahresopfer dar.

Über dieser Erzählung war der Abend herangerückt, und nach vollendetem Opfer begaben sich alle in die Stadt. Diese war nur klein; wer hätte ahnen können, daß einst die Weltstadt Rom an ihrer Stelle stehen sollte? denn die Arkadier waren ein ländliches Hirtenvolk und hatten aus ihrer Heimat keine Schätze mitgebracht. Aber Mut und nervige Arme konnten sie den Trojanern zum Beistand anbieten. Deswegen gefiel es dem Äneas doch in dem Hause Euanders, das mehr einer Hütte denn einem Palast glich, und er sank auf einem weichen Blätterlager, über welches das zottige Fell eines Bären gebreitet war, in sanften Schlummer.