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Vom Theater

86.

Vom Theater. — Dieser Tag gab mir wieder starke und hohe Gefühle, und wenn ich an seinem Abende Musik und Kunst haben könnte, so weiß ich wohl, welche Musik und Kunst ich nicht haben möchte, nämlich alle jene nicht, welche ihre Zuhörer berauschen und zu einem Augenblicke starken und hohen Gefühls emportreiben möchte, — jene Menschen des Alltags der Seele, die am Abende nicht Siegern auf Triumphwägen gleichen, sondern müden Maultieren, an denen das Leben die Peitsche etwas zu oft geübt hat. Was würden jene Menschen überhaupt von „höheren Stimmungen“ wissen, wenn es nicht rauscherzeugende Mittel und idealische Peitschenschläge gäbe! — und so haben sie ihre Begeisterer, wie sie ihre Weine haben. Aber was ist mir ihr Getränk und ihre Trunkenheit! Was braucht der Begeisterte den Wein! Vielmehr blickt er mit einer Art von Ekel auf die Mittel und Mittler hin, welche hier eine Wirkung ohne zureichenden Grund erzeugen sollen, — eine Nachäffung der hohen Seelenflut! — Wie? Man schenkt dem Maulwurf Flügel und stolze Einbildungen, — vor Schlafengehen, bevor er in seine Höhle kriecht? Man schickt ihn in’s Theater und setzt ihm große Gläser vor seine blinden und müden Augen? Menschen, deren Leben keine „Handlung“, sondern ein Geschäft ist, sitzen vor der Bühne und schauen fremdartigen Wesen zu, denen das Leben mehr ist, als ein Geschäft? „So ist es anständig“, sagt ihr, „So ist es unterhaltend, so will es die Bildung!“ — Nun denn! So fehlt mir allzuoft die Bildung: denn dieser Anblick ist mir allzuoft ekelhaft. Wer an sich der Tragödie und Komödie genug hat, bleibt wohl am Liebsten fern vom Theater; oder, zur Ausnahme, der ganze Vorgang — Theater und Publikum und Dichter eingerechnet — wird ihm zum eigentlichen tragischen und komischen Schauspiel, sodass das aufgeführte Stück dagegen ihm nur wenig bedeutet. Wer Etwas wie Faust und Manfred ist, was liegt dem an den Fausten und Manfreden des Theaters! — während es ihm gewiss noch zu denken gibt, dass man überhaupt dergleichen Figuren aufs Theater bringt. Die stärksten Gedanken und Leidenschaften vor Denen, welche des Denkens und der Leidenschaft nicht fähig sind — aber des Rausches! Und jene als ein Mittel zu diesem! Und Theater und Musik das Haschisch-Rauchen und Betel-Kauen der Europäer! Oh wer erzählt uns die ganze Geschichte der Narkotika! — Es ist beinahe die Geschichte der „Bildung“, der sogenannten höheren Bildung!