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Bedeutungswandel

Wollen wir diesen Einwand entkräften, so müssen wir schärfer als bisher das Wesen des Bedeutungswandels betrachten. Zwar im allgemeinen ist der Sache mit der vielleicht schon allzu oft hervorgehobenen Tatsache beizukommen, daß es in der Wirklichkeitswelt keine konkrete Volkssprache gibt, sondern nur eine Ähnlichkeit von Individualsprachen, daß auch die Individualsprache noch eine Abstraktion aus einem Menschenleben ist, daß wirklich und konkret uns nur noch die Momentsprache sein kann. Dann wird auch der Begriff des Bedeutungswandels zu einem verworrenen Bilde eines Vorgangs im Einzelgehirn, und zwar eines wirklichen, also momentanen Vorgangs. Doch so ist die landläufige Anschauung nicht zu widerlegen. Glaubt doch Whitney (Sprachwissenschaft S. 195) gerade durch den Bedeutungswandel beweisen zu können, daß das Denken früher da sei als die Sprache, die es darstellt. Ganz naiv verwechselt er binnen sechs Zeilen die Ausdrücke "Vorstellung", "Denken" und "Begriff". Diese Verwechslung ist bis zur Stunde im Betriebe der Sprachwissenschaft so alltäglich, daß man, wenn sie sich bei einem so verdienstvollen Manne wiederfindet, vor Zorn das Buch ergreifen und es um den Kopf schlagen möchte, in welchem Vorstellung und Begriff nicht unterschieden werden. Whitney sagt an dieser Stelle ganz ahnungslos, der unzertrennbare Zusammenhang zwischen Begriff und Wort sei darum abzulehnen, weil jede Vorstellung schon für sich bestanden habe, ehe sie mit einem besonderen Zeichen umkleidet wurde. Ich glaube, das ist ein handgreiflicher Beleg zu dem oben Gesagten, daß nämlich nicht zwischen Denken und Sprechen die Differenz vorhanden sei, sondern zwischen unserem Denken und unseren Eindrücken von der Wirklichkeitswelt.