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Unbewußte Metapher

Gehen wir von der poetischen Sprache zu der Sprache im allgemeinen über, so wird die Definition des Quintilian, es sei die Metapher ein abgekürztes Gleichnis, sofort richtig. Der Übergang von der bewußten Metapher des Dichters zur unbewußten Metapher der Gemeinsprache interessiert uns hier aber zumeist.

Bei Homer heißt es vom Geschoß einmal, es fliege dahin, ein andermal, es verlange in den Haufen hinein zu fliegen. Übersetzen wir das in die Sprache der Gegenwart. Die Kugel fliegt, die Kugel wünscht in den Feind hinein zu schmettern. Das erste ist Sprache, das zweite ist ein dichterisches Bild. Die Bewegung der Kugel können wir sprachlich gar nicht anders ausdrücken als durch "fliegen". Sagt aber jemand von der Kanonenkugel, dass sie blutdürstig sei, so belebt, so personifiziert er sie. War das aber mit dem Worte fliegen ursprünglich anders? Als der Pfeil erfunden worden war und (wohlgemerkt) dem Vogel nachgemacht worden war, indem man ihm Federn als einen steuernden Schwanz einfügte, da war es ein dichterisches Wort, die Bewegung mit dem Fluge des Vogels zu vergleichen. Vorher war die Waffe des Menschen wohl ein Stein gewesen. Ich zweifle, ob man vor der Erfindung des Pfeils den geworfenen Stein mit dem Fluge des Vogels verglich. Der Stein war wohl noch reines Objekt; er wurde geworfen. Der Pfeil jedoch forderte zur Vergleichung mit dem Vogel heraus. Er wurde nicht mehr geworfen, er flog, er wurde zum beseelten Subjekt. Dann entschwand bei dieser Anwendung des Wortes "fliegen" das Bewußtsein, dass man an Flügel oder Federn gedacht habe. Was sich schnell durch die Luft bewegte, das flog, bis auch der Stein durch die Luft "flog".

Es wäre falsch, wenn man alle Metaphern aus solcher Personifikation heraus erklären wollte. Kinder und Naturvölker personifizieren gern; diesen ursprünglichen Personifikationen liegt eine irrige Vergleichung, eine irrtümliche Gleichsetzung zugrunde. Nur die dichterische Personifikation, die der unbewußten gemeinsprachlichen zugrunde liegt, ist sich des bloßen Witzes, des bloßen Spieles bewußt.

Das unbewußte Personifizieren der Kinder und der Naturvölker ist für das menschliche Denken freilich von entscheidender Wichtigkeit; wir wissen, dass die tiefste und letzte Schablone des Denkens, der Begriff der Kausalität, ohne welchen die Wissenschaft und die Welterkenntnis aufhören, auf dieser Gewohnheit, auf diesem Bedürfnis des Personifizierens beruht. Man sollte glauben, noch ursprachlicher könne es keine psychologische Tätigkeit mehr geben. Und doch liegt der Metapher (mitsamt der Personifikation) ein noch älteres, ein noch elementareres Bedürfnis zugrunde, das der psychologischen Vergleichung.