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"bedeuten"

Dass jedes Wort etwas "bedeute", ist ganz richtig, wenn man nur erst beachtet hat, was Bedeuten eigentlich "bedeute". Es heißt nämlich soviel wie: auf etwas hindeuten, an etwas erinnern, ein Bild von etwas sein. So liegt auch in diesem ganz vulgären Ausdruck — bei welchem die alltägliche Sprache an irgend eine Kraft der Worte denkt — im Grunde das Geständnis, das Wort habe nur den Zweck, zu erinnern, die Sprache nur den Wert von Erinnerung. Für uns, denen Sprache soviel ist wie Bewußtsein und Bewußtsein so wenig wie Gedächtnis (wobei wieder der ähnliche Gebrauch von "viel" und "wenig" auffallen muß), für uns ist dann die Philosophie des Unbewußten nichts weiter als eine Philosophie des Vergessenen. Und dass etwas Vergessenes oder Verlorenes darum noch nicht aufhöre, zu sein, das braucht wohl keines Beweises.

Auch der Ursprung der Sprache und der Metapher wird durch das Wort "bedeuten" hell beleuchtet.

Wenn ich am Meeresufer stehe und in trüben Gedanken die breiten Wellen, die mit Kraft und Lärm den Strand hinauflaufen, dann immer auf der gleichen Höhe innehalten, langsam zurückrollen (ohne sich umzudrehen) und so von dem neuen Wasserberg gepackt und überwogt werden, der mit Kraft und Lärm und Jugend dieselbe Strecke Strand hinaufläuft — wenn ich infolge trüber Gedanken diese Wellen mit den aufeinanderfolgenden Geschlechtern der Menschen vergleiche, so kann ich wohl sagen, die Wellen "bedeuten" mir die Geschlechter. Aber das will doch nur sagen: sie erinnern daran. Mich und dann vielleicht andere, denen ich das Bild mitteile.

So geht es mit allen Worten. Alle sind einmal Bilder gewesen, zuerst für den Bildner der Metapher, dann für andere; alle Worte, auch wenn sie scheinbar nicht mehr Bilder sind, erinnern doch nur, summieren sich endlich zu dem, was wir unser und der Menschheit Gedächtnis nennen, das heißt unsere oder der Menschheit Sprache oder Geist.

In sehr vielen Fällen freilich ist ein bestimmtes Bild der umgebenden Wirklichkeit, ist eine bestimmte Metapher so alltäglich geworden, dass wir uns gewöhnt haben, sie für die Urbedeutung des Wortes anzusehen. Wir sind geneigt, die Zunge an der Wage für eine Metapher zu erklären, die Zunge im Munde für die ursprüngliche Bedeutung, das Blatt einer Zeitung für eine Metapher, das Blatt am Baume für die ursprüngliche Bedeutung. Aber Zunge und Blatt haben den betreffenden Teil des Tieres und des Baums ursprünglich ebenso metaphorisch bezeichnet, und nur die Erinnerung daran ist bei den meisten Menschen geschwunden. Als in vorhistorischer Zeit die sogenannte Welle zur Fortbewegung benutzt wurde und besonders unter einem Fahrzeug den Namen Rad erhielt, war das eine Metapher, deren Bildlichkeit unserer Erinnerung verloren gegangen ist. Seit einigen Jahren bezeichnet man mit einer neuen Metapher das Bicycle am geläufigsten mit Rad; vorläufig denkt bloß der fleißige Radfahrer nicht mehr, dass das ihm geläufige Rad eine Metapher sei; sollte aber der allgemeinere Begriff etwa aus dem Gebrauch verschwinden, so würde schließlich Rad im Sinne von Bicycle die allgemeine Bedeutung werden, aus der sich dann wieder neue Metaphern loslösen könnten.