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Denkgesetze

Der Logiker kann zur Begründung seiner Wissenschaft schließlich nichts anderes tun als auf die Notwendigkeit hinweisen, mit der wir unsere Schlüsse ziehen.

Dieses subjektive Gefühl der Evidenz würde aber ganz falsch gedeutet, wollte man daraus für die logischen Regeln und unser Denken objektive Verknüpfung von Grund und Folge ableiten. Auch der Stein muß fallen, respektive schwer sein. Könnte er rechnen wie wir, er könnte seine "Fallgesetze" entdecken. Wir denkenden Menschen begehen oft den Fehler zu meinen oder wenigstens zu sagen, der Stein falle nach diesen Gesetzen, das heißt doch wohl, der Fall sei die Folge der Gesetze. Aber die Gesetze sind doch nur das Spätere, die Formel. Als Gehirn denken wir das Spätere, die Formel, als Körper tun wir das Frühere. Wir fallen und sind schwer.

So wenig aber als die Fallgesetze jemals Einfluß genommen haben auf den Fall eines Körpers, so wenig bekümmern unsere Denkgesetze das Denken. Nur wenn es einen Gott gäbe und wir könnten uns ihn so schulmeisterlich denken, dass er erst die Fallgesetze nicht entdeckt, sondern erfunden und danach das Sonnen- und Sternensystem gebaut hätte, nur dann wäre das Fallgesetz oder die Gravitation der Grund des Falls oder der Planetenbahnen. Und so wären die logischen Gesetze der Grund unseres Denkens, wenn wir sie erfunden hätten, anstatt sie zu entdecken. So schulmeisterlich ist aber nicht einmal der Mensch gewesen.

Gerade aus den geschulten Köpfen ist der Glaube an den Wert der Logik am schwersten herauszubringen. Ein verhältnismäßig vorurteilsfreier Mann wie Friedrich Paulsen kann gelegentlich da, wo er die Unhaltbarkeit des Atomismus aus der Tiefe des Gemüts heraus darlegen will, den ketzerischen Satz niederschreiben: "Die Zeit dürfte überhaupt vorüber sein, wo man glaubte, mit logischen Demonstrationen die Notwendigkeit dieses oder jenes Weltbegriffs ausmachen zu können" (Einl. i. d. Philosophie³ 214). Wo es sich aber nicht um einen Weltbegriff (?) handelt, sondern um eine Kleinigkeit wie den Begriff der Seelensubstanz, da stellt Paulsen eine Behauptung auf, die eigentlich verdiente, in eine tote Sprache übersetzt zu werden (Einl. i. d. Philosophie 375): "Man kann zwei Arten von Denknotwendigkeit unterscheiden: die echte oder logische und die falsche oder psychologische. Die unechte oder psychologische Notwendigkeit entspringe aus der Gewöhnung. Wenn Paulsen uns nur sagen wollte, woraus die echte oder logische Notwendigkeit entspringt. "Was wir oft oder immer sehen, hören, denken, erscheint uns zuletzt als notwendig, sein Gegenteil als unmöglich." Ganz richtig; nur dass diese vortreffliche Erklärung der Denknotwendigkeit auf alles logische Schließen paßt, welches für uns ja nie etwas Anderes ist als das rückwärtsgehende Aufdröseln eines durch Induktion gewonnenen Begriffs, nichts als Anwendung einer angewöhnten Klassifikation. Alles Schließen, alle sogenannte Denknotwendigkeit ist psychologische Tätigkeit; die rein logischen Akte wären eben psychisch ohne Psyche.

Es ist eine bekannte Beobachtung, und ich habe sie zu Zeiten nervöser Überreizung oft und stark an mir selbst wahrgenommen, dass in der gleichen Angelegenheit vor Tisch ein trauriger, nach Tisch ein befriedigender Ausgang für wahrscheinlich oder sicher gehalten wird. Nun besteht die Denktätigkeit einer solchen Annahme aus Vorstellen und Schließen. Wir stellen uns bei gut genährtem Körper die günstigeren Tatsachen vor, das heißt wir erinnern uns leichter, das heißt bequemer und lieber an die günstigen Schlußglieder als an die ungünstigen. Wer das für materialistisch hielte, der übersähe, wie ich gerade alle Logik unter die Psychologie bringe. Wenn anders Kritik der Sprache die einzig mögliche Erkenntnistheorie ist und dann auch die einzig mögliche Psychologie.

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