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"Begriff"

So schwer es bei dieser Säuberung halten wird, die Lehnworte und Lehnübersetzungen richtig zu behandeln, die aus der toten Sprache in die unsere übergegangen sind, ebenso schwer wird es sein, die eigenen Worte auszumerzen, die zur Vermeidung von Lehnworten als Übersetzungen technische Bedeutung bekommen haben. So ist das Wort Begriff eine in ihrer Art ganz hübsche Übersetzung des lateinischen Wortes conceptus. Es ist als terminus technicus noch kaum zweihundert Jahre alt und einer der vielen Fälle, in denen zwar die Laute der Muttersprache beibehalten wurden und statt eines Lehnwortes ein Lehnbegriff genügte; für unsere Auffassung der Sprachentwickelung macht das keinen großen Unterschied. Wir müssen höchstens sorgsamer darauf achten, dass in der Entwicklung des Begriffs "Begriff" seit zweitausend Jahren bei der Übersetzung aus dem Griechischen ins Lateinische und dann ins Deutsche kleine Nuancierungen mit verbunden waren. Namentlich aber der große Umschwung der neuern Zeit ist an dem Begriffswerte des Wortes Begriff deutlich zu machen; was die Wertschätzung aller Begriffe änderte, mußte auch den "Begriff" ändern.

Bei Platon, wo für Begriff und Wort nur eine Bezeichnung da ist, jedoch so, dass das Wort zum mystischen Begriff erhoben und nicht der Begriff zu der Wirklichkeit des Wortes degradiert wird, ist natürlich nur der Begriff oder das Wort (logos) Gegenstand des Wissens; und das geht weiter, bis bei den Neuplatonikern schon (wie bei Hegel) etwas wie eine Eigenbewegung der Begriffe gelehrt wird. Der Beginn der neuen Zeit wird gewöhnlich mit Descartes angenommen, der von den Begriffen Klarheit und Deutlichkeit verlangte; nur dass er nicht ahnte, wie Klarheit und Deutlichkeit allen philosophischen Begriffen mangelt und mangeln muß. In Wahrheit bricht die Neuzeit in aller Erkenntnistheorie erst mit Locke an, der wohl seinerseits erst wieder Hume aus dessen dogmatischem Schlummer geweckt hat. In dem unschätzbaren dritten Buche seines Versuchs hat er erkannt, dass es nur die Ähnlichkeit der Dinge ist, was in den Dingen den Begriffen entspricht: und mit einer genialen Vorwegnahme der erkenntnistheoretischen Bedeutung des Darwinismus fügt er hinzu, "dass die Natur bei der Hervorbringung der Dinge manche einander ähnlich macht, namentlich bei den Arten der Tiere und aller durch Samen fortgepflanzten Dinge". Insofern also Worte oder Begriffe die Arten, Gattungen usw. bezeichnen, müßte die Sprachkritik weiter auf Ontologie zurückgehen. Die Ähnlichkeit jedoch, sei es nun natürliche oder von menschlichen Zwecken eingegebene Ähnlichkeit, ist, wie wir weiter denken müssen, nichts Wirkliches, sondern menschliche Tätigkeit, ist nicht objektiv, sondern subjektiv, ist die Tätigkeit der Vergleichung. Begriffe entstehen nicht, wie trotz Locke noch Kant gelehrt hat, durch Vergleichung oder Abarten der Vergleichung wie Reflektion und Abstraktion, sondern sie sind die Akte der Vergleichung selbst. Im Gegensätze zu Hegel, welcher in den Begriffen tätige Wirklichkeiten sah, was oft genug zurückgewiesen worden ist, sehen wir in den Begriffen bloße Tätigkeiten, also Unwirklichkeiten, was vortrefflich dazu stimmt, dass wir in der Sprache nichts Wirkliches erblicken. Und wir haben gesehen (I. 467 f.), wie gefährlich die Tätigkeit des Vergleichen für Sprache und Logik werden mußte. Die Sprache "ver"gleicht, was nur ähnlich ist.

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