Richtungsadverbien
Wir gewännen ungeahnte Ausblicke in das Wesen des Menschengeistes, wenn wir in eine Urzeit der Sprache hinabsteigen könnten, in welcher sich die Adverbien "da" und "wo" voneinander schieden. Dieses Rätsel wird aber niemals gelöst werden. Wir müssen uns damit begnügen, diese beiden Adverbien als die beiden Stämme anzusehen, aus denen sich, wirklich genau wie durch Flexion, zahlreiche andere Adverbien des Raums oder der Richtung entwickelt haben. Denken wir uns den Standpunkt des Sprechers als die sinnlichste Antwort auf die Frage "wo", so läßt sich im Grunde jeder andere Punkt im Räume auf die relative Lage, auf die Beziehung woher und wohin bringen. Für den Standpunkt des Sprechers ist das fast ohne Beispiele klar. Beispiele zeigen uns nur, wie die drei Antworten auf die Fragen wo, woher und wohin alte Kasusformen von sogenannten Wurzeln sind, die wir oft etymologisch nicht mehr nachweisen können, in den drei deutschen Antworten hier, her und hin wird noch etwas wie Deklination empfunden; der Engländer, der an seinem Substantiv eine Deklination kaum mehr kennt, kann alte Kasusformen an seinem here, hither und hence kaum mehr herausfühlen. Im Deutschen ist dabei die Vorstellung einer Antwort namentlich auf die Fragen woher und wohin so lebendig geblieben, dass her auch als Vorsilbe zunächst immer die Richtung einer Tätigkeit auf den Sprechenden zu, hin die Bewegung von dem Standpunkt des Sprechenden hinweg, die Richtung von dem Sprechenden aus bedeutet. Dabei ist es gleichgültig, ob das letzte Wort archaistisch in seiner vollsten Form "hinnen" gebraucht wird oder ob die Stammsilbe "hie" ganz wegfällt und nur die Art Kasusendung "n" übrig geblieben ist wie in "'naus".
Es braucht nicht ausdrücklich gesagt zu werden, dass die Umgangssprache mit ihren alten Ortsadverbien nicht die Mittel besitzt, den Ort so genau zu bestimmen, wie die Geometrie mit ihren Abszissen- und Ordinatenlängen und ihrem ganzen Apparate von Maßen. Die Alltagssprache behilft sich für die Nähe und Ferne mit einem Ungefähr. Trotzdem ist auch der Alltagssprache, wenn nicht für den Ort eines Dings oder einer Tätigkeit, so doch für die Bewegungsrichtung eine außerordentlich feine Unterscheidung möglich, nicht weiter jedoch, als die Orientierung des ungeometrischen Menschen geht. Die Sprache tastet im Räume umher, wie ein Kind mit seinen Händen, wie der erwachsene Mensch mit seinen Augen. Das Hilfsmittel dazu ist, dass der Sprechende den Kreuzungspunkt des Koordinatensystems außer sich verlegt, in den Standpunkt eines anderen Menschen oder in den Standpunkt eines Ereignisses. Man könnte die Hinausverlegung des Kreuzungspunktes mathematisch genau nach dem Koordinatensystem richten und alle möglichen Standpunkte außerhalb des Ichs (rechts, links, unten, oben, vorn, hinten) auf den Achsen abmessen; in Wahrheit begnügt sich die Alltagssprache auch hier mit einem Ungefähr, denkt bei rechts und links, bei oben und unten, bei vorn und hinten nicht an geometrisch genaue Verhältnisse, ist dafür aber für die Bewegungsrichtung in der Lage, die Beantwortung der Frage woher und wohin wieder durch Endungssilben an die Adverbien rechts und links, oben und unten, vorn und hinten auszudrücken. Moderne Schriftsprachen allerdings haben diese Fähigkeit vielfach verloren; sie müssen sich mit Zusammensetzungen wie: von oben, von unten, nach oben, nach unten behelfen. Noch das Gotische besaß jedoch die Formen: dalatha (unten), dalath (nach unten), dalathrö (von unten); dalath besitzen wir eigentlich noch, wenn wir "zu Tal" vom Abwärtsfließen der Flüsse sagen. Sehr schön besitzt das Böhmische diese Richtungsdeklination in: dole (unten), dolu (hinunter), zduly (von unten); am reichsten an solchen Richtungsformen scheint das Finnische zu sein, welches die Fragen wo, wohin und woher für seine Adverbien draußen, drinnen, oben und unten flektierend beantwortet.
Noch reicher wird die Zahl der Richtungsadverbien, wenn zum Kreuzungspunkte der Koordinaten ein Ort genommen wird, von dem es nicht bestimmt wird, ob er rechts oder links, oben oder unten, vorn oder hinten vom Sprechenden liege, von dem nur gesagt wird, dass er anderswo sei oder irgendwo oder nirgendwo; das Böhmische dekliniert alle diese Adverbien für die Fragen wo, wohin und woher und fügt noch einen vierten Kasus für die Frage wodurch hinzu; dieser vierte oder kausale Kasus ist jedoch überflüssig und ungebräuchlich und kann aus Gründen, die wir gleich kennen lernen werden, durch den Woher-Kasus ersetzt werden.