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Solipsismus

Das Ich ist als Wirklichkeitsvorstellung eine Täuschung der Sprache, eine Selbsttäuschung, als Ichgefühl ist es jedoch eine Wirklichkeit, und zwar bekanntlich eine sehr wirksame Wirklichkeit. Die natürlichste Folge dieses praktischen Ichgefühls ist der gemeine oder praktische Egoismus, der auch schon in seiner äußersten Konsequenz Solipsismus genannt worden ist. Häufiger nimmt man den Solipsismus für den theoretischen Egoismus, ja eigentlich für einen erkenntnistheoretischen Egoismus in Anspruch, auf den sich dann freilich das Handeln des praktischen Egoisten sehr bequem begründen ließe; nur daß der gemeine Eigennutz kaum jemals einen solchen Umweg gemacht hat.

Der erkenntnistheoretische Egoismus ist als Möglichkeit einer Weltanschauung von jeher in einzelnen Köpfen aufgetaucht. Seit Schopenhauer wird häufig ein Wort indischer Weisheit zitiert: "Alle diese Geschöpfe bin ich ganz und gar, und außer mir existiert kein anderes Wesen, und ich habe alles Geschaffene gemacht." Es ist nur schwer, sich mit toten Sprachen auseinanderzusetzen. Dieser krasseste Ausdruck des theoretischen Egoismus ist nämlich dem schärfsten Ausdrucke des allliebenden Altruismus nahe verwandt, wie er uns in dem berühmten Tat twam asi der Inder und in dem seligen Pantheismus der deutschen Mystiker aus dem Mittelalter vorliegt.

Der Solipsismus, das ist die Behauptung oder das Gefühl eines Individuums, sein Ich allein sei wirklich, alle seine übrigen Vorstellungen seien eben nur Vorstellungen, also unwirkliche Träumereien — dieser Solipsismus ist einerseits logisch unwiderlegbar, anderseits verrückt, denn nicht einmal zur Prüfung alles Verrückten taugt die Logik.

Darin aber erweist sich der Solipsismus als ein bloßes Wort, das will sagen als eine uneinlösbare Spielmarke, daß er nicht einmal ein Urteil gestattet über denjenigen, der dieses Wort zu seinem obersten Gott gemacht hat. Denn der Solipsismus kann ebensogut (wie bei Berkeley) die theoretisch-idealistische Weltanschauung eines frommen Mannes sein, der nur so die ketzerischen Sinneseindrücke und die aus ihnen folgenden atheistischen Wissenschaften bekämpfen zu können glaubt, als er auch (wie bei Stirner) die halb lachende, halb weinende Skepsis eines Verzweifelten darstellen kann, dessen praktischer Idealismus die Bestien seiner Sinne gern los werden möchte. Bleibt schließlich noch der Solipsismus als unbewußte Weltanschauung des ruchlosen Egoisten, vom gemeinen Mörder bis zum Wucherer, der ganz und gar Sklave seiner Sinne ist, ihren Mitteilungen theoretisch vollkommen vertraut, insofern er seine Opfer für etwas Wirkliches nimmt, praktisch aber, d. h. ethisch, wirklich nichts weiter auf der Welt kennt als sein Ich allein. Hätten der gute Bischof Berkeley und der Bombenwerfer Henry beide nicht reden gelernt, sie waren stark entwickelte Gegensätze; das Wort Solipsismus und andere Worte, die besonders Nietzsche in geistreiche Formeln gebracht hat, verbinden Henry und Berkeley mit anderen zu einer kleinen Gruppe von sogenannten Gleichgesinnten, d. h. von gleich Redenden, von Anbetern der gleichen Wortfetische.

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