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Kindersprache

Es ist bekannt, daß Kinder verhältnismäßig spät zum richtigen Gebrauch des Wortes "ich gelangen. Man hat datur törichterweise die Eltern und Ammen verantwortlich machen wollen, weil diese angeblich so kindisch sind, im Gespräche mit dem Kinde das "ich" nicht zu gebrauchen und statt dessen die Eigennamen — es sind Eigennamen für die Kinderstube — Papa, Mama u. s. w. anzuwenden. Eltern und Ammen jedoch können gar nicht anders, weil das Kind anfangs eben nur Eigennamen fassen kann und das Abstraktum Ich als die Bezeichnung für das jeweilig redende Subjekt gar nich gebrauchen könnte. Das Gefühl seiner selbst hat aber das Kind — wie gesagt — schon lange vor dem Besitz dieses Abstraktums. Wenn Dorchen im letzten Viertel des dritten Jahres anfängt zu sagen "ich will auf den Stuhl", so ist sein Ichgefühl nicht weiter entwickelt als zur Zeit, da es noch sagte "Dorchen — Tuhl". Es bleibe dahingestellt, ob das Ichgefühl nicht auch schon damals genügend entwickelt war, als es nur "trinken" sagen konnte und in seinem Egoismus sich selbst als das selbstverständliche Subjekt aller Äußerungen, als das Zentrum der Welt betrachtete. Die Frage nach der Entstehung des Ichgefühls ist viel schwieriger oder viel einfacher, wie man will. Es fragt sich, zu welcher Zeit das Kind zu der Vermutung komme (die unserer ererbten Weltanschauung eine Gewißheit scheint), daß sein Leib mit allen seinen Empfindungen eine Einheit sei. Es gibt bekanntlich niedere Tiere, bei denen diese sozusagen seelische Einheit durchaus nicht angenommen werden kann. Auch beim neugeborenen Menschenkinde ist diese Einheit nicht vorhanden, weder als Selbstbewußtsein, noch als Ichgefühl, noch auch als bloßes Gemeingefühl. Bis weit ins erste halbe Lebensjahr hinein ist das Kind nicht darüber orientiert, daß alle seine Körperteile zu ihm gehören; und es ist wohl mehr als eine bloße Vermutung, daß die einheitliche Empfindung des Schmerzes erst dazu führt, den eigenen Körper begrifflich von der übrigen Welt zu trennen.