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Passivum

Im Banne der Sprache, im noch engeren Banne der Grammatik sind wir geneigt, im aktiven Verbum den entsprechenden Ausdruck für einen wirklichen psychischen Vorgang zu erblicken, das Verbum für eine der zwei unentbehrlichen Sprachkategorien (neben dem Substantiv) zu halten und weiter die aktive Form des Verbums für die ursprüngliche. Wir werden, vom Banne der Sprache befreit, noch erkennen, daß nirgends in der Wirklichkeitswelt an sich ein Vorgang vorhanden ist, der unseren Tätigkeitsworten entspricht, daß es der Menschengeist ist, der Reihen von Veränderungen oder Bewegungsdifferentialen um einen Zweckbegriff gruppiert und solche Gruppen als Tätigkeiten auffaßt und benennt. In der Wirklichkeit sind es immer die Sinne des Subjekts, welche einen Eindruck von außen erfahren, in der Wirklichkeit ist also das Beobachten, z. B. das Sehen, immer etwas Passives. Aus diesem letzten Grunde schon ist die Ursprünglichkeit der aktiven Verbalform verdächtig; aus diesem letzten Grunde schon wäre es vorstellbar, daß der Begriff "sehen" ursprünglich "scheinen" oder "glänzen" (beziehungsweise "beglänzt werden") bedeutet haben konnte. Dafür sprechen auch sprachgeschichtliche Tatsachen, so z. B. daß im Sanskrit und im Griechischen das sogenannte Medium (unserem Passivum entsprechend) einen aktiven Sinn haben konnte, aber nicht umgekehrt, daß also in diesen Sprachen das Medium wahrscheinlich älter war als das Aktivum. Es ist ja auch natürlich, daß der Mensch in einer Urzeit früher seine Empfindungen subjektiv wahrnahm, als daß er sie objektiv auf die Welt bezog. Wenn das Tier sprechen könnte, so würde es gewiß in der Form des Mediums oder Passivums sprechen. Die Herstellung einer objektiven Welt im Verstande ist nur eine Deutung der subjektiven Empfindungswelt. Ist also zwar eine uralte Hypothese der Menschheit, aber doch, wenn das Aktivum nicht die älteste Form des Verbums ist, nicht ursprünglich, erst geworden. Das Medium oder Passivum ist in den Empfindungen da und muß erst in den Sinn des Aktivums kunstvoll umgedeutet werden. Meine Empfindung "grün" ist ursprünglich die, daß ich begrünt werde, daß mich die Wiese begrünt; ist ein Schluß, den ich aus der Erfahrung ziehe. loh glaube zu wissen, was ich gesehen habe; ich glaube zu sehen, wenn ein Licht eindruck auf mich gemacht worden ist. Da halten wir plötzlich an einer Stelle, wo der Sinn des Verbums überhaupt uns verläßt; und mit dem Sinn des Verbums der Sinn der Logik, wie sie sich seit zweitausend Jahren um die Kategorien der Grammatik rankend entwickelt hat. Alle Logik gründet sich auf die bekannte Satzform des Urteils, auf die Verbindung von Subjekt und Prädikat, die für unser Denken notwendig eine Verbindung von Substantiv und Verbum geworden ist. Unser logisches Denken geht in Brüche, wenn wir uns den Sinn des Verbums nicht mehr wie bisher vorstellen können.