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Enge des Bewußtseins

Die sogenannte Enge des Bewußtseins ist von den Psychologen oft und von ihrem Fetischglauben aus ganz richtig beobachtet worden. Wenn die Seele etwas Wirkliches wäre, ein Ding, und das Bewußtsein eine ihrer Eigenschaften, dann müßte man dieses Bewußtsein allerdings verzweifelt eng nennen. Denn es ist wirklich so, daß z. B. dem Redner oder seinem Zuhörer immer in einem Augenblick nur ein Wort gegenwärtig ist (um so ausschließlicher, je aufmerksamer er darauf ist), daß von dem ganzen Wortschatz der Muttersprache, von allen ihm bekannten fremden Sprachen, von allen Kenntnissen und Empfindungen, von allern geistigen Besitz in diesem selben Augenblick nichts weiter gegenwärtig ist oder doch nicht klar ist. Ich habe diese Schilderung zum Teil mit Steinthals Worten gegeben, weil dieser Gelehrte sich mit einem entsetzlichen Kopfsprung aus der Verlegenheit hilft. Die Verlegenheit besteht nämlich darin, daß wir deutlich wissen, wie tatsächlich immer nur ein winziger Ausschnitt unseres geistigen Besitzes an der engen Pforte, ja an dem Nadelöhr unseres Bewußtseins vorübergeht, und daß wir doch zugeben müssen, es sei dennoch Ordnung und Zusammenhang in unserem Denken oder Sprechen. Der Zustand, wo ohne inneren Zusammenhang die Vorstellung, welche eben die Schwelle des Bewußtseins überschritten hat, durch Assoziation die nächste herbeiholt, die nur ihr gefällt u. s. w., dieser Zustand ist der des Wahnsinns. Es ist also einerseits immer nur eine Vorstellung gegenwärtig und dennoch zugleich eine ganze lange, verwickelte, reiche Kette von Vorstellungen, zwar nicht im hellen Bewußtsein, aber doch in dem dunklen Unbewußten der Seele. Solange man also ein Subjekt des Bewußtseins meint, eine zwar immaterielle, aber doch dingliche Seele, solange besteht ein Widerspruch zwischen der Enge des Bewußtseins und der Weite unseres Horizontes, der doch auch nur das Ganze unseres Bewußtseins ist. Steinthal nun, der diesen Widerspruch wohl gefühlt haben muß, wenn er auch nicht von ihm spricht, hilft sich mit der Aufstellung eines ganz ungewöhnlich falschen Begriffes, eines wahren Lazarettpferds von Begriff. Er nimmt (Abr. d. Sprachw. I, 137) einen Erregungszustand der Vorstellungen an, in welchem sie "Bewußtheit" ausstrahlen. Man achte wohl auf die Ungeheuerlichkeit. Das Bewußtsein ist nach allen diesen Psychologen gerade diejenige Tätigkeit der Seele, durch welche unser Ich von den Vorstellungen ganz persönlich Besitz ergreift. Die Vorstellungen mögen subjektiv sein im Gegensatz zu ihren Dingen (es kann auch umgekehrt sein), jedenfalls aber sind sie objektiv im Gegensatz zu unserem Bewußtsein von ihnen. Und nun soll auf einmal dieses potenziert Subjektive in die Vorstellung hineingelegt werden, die Vogelscheuche "Bewußtheit" soll die Vorstellungen bewachen, damit der Meister Bewußtsein schlafen kann. Denn ich weiß nicht, wozu man noch ein Bewußtsein nötig hat, wenn die Vorstellungen "Bewußtheit" haben.

Wären die Dinge der Wirklichkeitswelt an sich farbig, dann wäre ja unser Sehen nicht eine Gehirntätigkeit. Wie man den Vorstellungen eine Erregtheit, eine Bewußtheit zuschreibt, so könnte man auch sagen, nicht der gute Schütze habe das Ziel, das Reh z. B., getroffen, sondern das Reh habe dem Jäger seine Treffbarkeit oder vielmehr Getroffenheit entgegengebracht.

Es ist einer von den Fällen, wo die Sprache sich denn doch gegen ihren Mißbrauch empört und sich nicht zwingen läßt.