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Bewußtsein und Sprache

Meine Lehre oder Behauptung, daß — um es diesmal sprachlich auszudrücken, soweit es geht — die Worte: Seele, Selbstbewußtsein, Bewußtsein überflüssig, sinnlos seien, daß sie alle nur Gebrauchsmünzen für die ungangbare Vorstellung von einem äußerst wertvollen Ich seien, daß dieses Ich in jedem einzelnen Augenblick nichts sei als die Summe aller ererbten und erworbenen Bewegungserinnerungen oder Übungen, also nichts als unser Sprachschatz, daß also das Ich oder das Bewußtsein nichts sei als die Fähigkeit — Warnung: Fähigkeit ist ein Wortfetisch! —, in jedem Augenblick des Lebens die ausgefahrenen Gleise des Nerven Organismus wieder zu befahren, diese meine Lehre oder Behauptung, daß Gedächtnis, Bewußtsein, Sprache drei Synonyme seien, sie erhält manches Licht von der neuen Physiologie und Psychologie.

So erscheint mir der Begriff "Enge des Bewußtseins" völlig entbehrlich, wenn erst die Psychologie dazu gelangt ist, von einer Enge des Gedächtnisses zu sprechen. Und das muß sie tun, weil sie bereits eingesehen hat, daß wir in jedem Augenblick nur je Eine Vorstellung oder Ein Wort wissen, daß dagegen die ganze Fülle unseres Wissens nur potentiell ist, gewissermaßen auf Lager, so wie die längst vergessene Kraft unserer Sonne in den Kohlenlagern der Erde als potentielle Kraft aufgespeichert liegt.

Das Gedächtnis für Sinnesempfindungen ist ganz anderer Art und bei vielen Menschen wahrscheinlich gar nicht vorhanden. Ich denke hier zunächst an das Gedächtnis für Begriffe oder Worte, das heißt also an die Sprache, wohl gemerkt: nicht an ein Gedächtnis für die Sprache, weil das eine Tautologie wäre.

Die Erinnerung an eine Gesichtsvorstellung ist scheinbar nicht so deutlich wie die an ein Wort; man vergleiche etwa das Wort "Rom" und die Bilderinnerung, die man von dieser Stadt zurückbehalten hat. Bei einiger Aufmerksamkeit wird man erkennen, daß nur das Schallbild "Rom" so deutlich ist (auch das nur verhältnismäßig, nie vollständig), der Begriff "Rom" aber ganz genau so undeutlich wie die Gesichtserinnerung.