Zum Hauptinhalt springen

Synthetische Urteile

Statt "Tautologien" könnte man auch sagen "analytische Urteile", "wenn (Sigwart I. 102) ein analytisches Urteil ein solches ist, in welchem das Prädikat schon im Subjekt mit vorgestellt ist." Dann sind aber auch zuletzt alle Urteile analytisch, und Kants Ausgangsfrage zu seiner Kritik der reinen Vernunft wird sinnlos. "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" Bevor sie a priori möglich sein können, müssen synthetische Urteile überhaupt sein. Schleiermacher ist im Rechte, wenn er den Unterschied zwischen analytischen und synthetischen Urteilen einen relativen nennt. Er ist nur zu schüchtern. Relativ ist auch der Unterschied zwischen gelehrten und unwissenden Menschen; eigentlich gibt es aber keinen absolut unwissenden, er ist immer gelehrt im Verhältnis zum neugeborenen Kinde. So ist jedes Urteil analytisch für den, dem sein Sinn aufgegangen ist.

Immer nur die neue Beobachtung, die neue Entdeckung, die neue Kenntnis kann "synthetisch" genannt werden, weil und solange sie dem alten Begriff "hinzugefügt" wird. Nur der Entdecker vollzieht die Synthese. Unmittelbar darauf Wird das Urteil schon wieder analytisch; der das Heureka ruft, der hat allein den ewigen Tautologien oder analytischen Urteilen eine Neologie, etwas Synthetisches hinzugefügt. Wer es ihm nachredet, spricht schon wieder ein analytisches Urteil. Als Robert Mayer das mechanische Äquivalent der Wärme fand, fügte er zum ersten Male die Begriffe "Erhaltung" und "Energie" (oder ähnlich) zusammen, dehnte er den Begriff der Trägheit zum ersten Male auf alle Kräfte aus. Wer ihm die Verbindung beider Begriffe nachsprach, und wäre es auch der so viel klarere und stärkere Helmholtz gewesen, sprach ein analytisches Urteil, eine Tautologie. Nur dass sich Helmholtz mehr dabei dachte als Mayer; dass wir uns nach Helmholtz mehr bei den Worten denken können als Mayer.

Sigwart hat unrecht, wenn er nach einem sich uns nähernden Gedankengange (I. 106) meint, solche erklärende Urteile seien streng analytisch für den, der der Sprache mächtig ist; der aber, der sie erst lernt, vollzieht synthetische Urteile, nur so, dass er nicht auf Grund seines eigenen Wissens urteile, sondern auf Grund eines Glaubens an die Aussage des anderen.