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V. Adverbien — Raum und Zeit

Adverbium und Kasus

Steinthal und Benfey sind trotz einiger Widersprüche beide durch sprachgeschichtliche Untersuchungen dazu gelangt, das Adverbium für einen jungen, "sozusagen einen nachgeborenen Redeteil" zu erklären. Man kann das Adverbium, sowohl das Adverbium des Ortes wie das Adverbium der Art und Weise, als einen besonderen Kasus des Nomens auffassen und hätte dann nur psychologisch zu erklären, warum die Grammatiker für diese Beziehungen schließlich einen besonderen Redeteil aufgestellt haben. Der Hauptgrund wird wohl wieder der sein, dass die Sprache älter und reicher ist als die Grammatik und so bei ihren Bildungen auf die Bedürfnisse der Grammatik nicht Rücksicht nehmen konnte, so wenig wie die Natur bei der Erzeugung der Lebewesen auf das Klassifikationsbedürfnis der Naturforscher Rücksicht genommen hat. Was wir jetzt Adverbium nennen, das konnte durch den Ablativ und Lokativ, das konnte durch den Instrumentalis ausgedrückt werden. Im Sanskrit ist es infolge dieser Verhältnisse gar nicht nötig, besondere Adverbien oder einen besonderen adverbialen Kasus anzunehmen. Im Lateinischen scheint die Sache so zu liegen, dass die adverbialen Kasusformen auf -ter, -tim, -itus (gradatim, funditus) vor Ausarbeitung einer lateinischen Grammatik sich so eingeschränkt hatten, dass sie in die bekannten Deklinationsformen nicht mehr aufgenommen zu werden brauchten. Das ist noch deutlicher im Griechischen zu beobachten, wo die Ablativendung -ôs frühzeitig als modaler Kasus zur Herrschaft gelangte; da wurde bald vergessen, dass diese Endung nur einer bestimmten substantivischen Deklination angehörte, sie wurde durch Analogie auch den Adjektiven einer anderen Form angehängt. Weil die alten adverbialen Kasus so unregelmäßig aus der Sprachgeschichte verschwanden, darum gibt es auch in gut durchforschten Sprachen so viele unerklärte Adverbien (Steinthal, Kleine Schriften S. 446 u. f.).

Sehen wir so im Adverbium nur einen besonderen Kasus. so werden wir die komische Verlegenheit der Grammatiker begreifen, welche die Worte aus dieser Bedeutungsgruppe gerade deshalb zu einem besonderen Redeteile machten, weil sie sich nicht deklinieren ließen. Man stelle sich einmal vor, dass ein Grammatiker aus dem Genitiv deshalb einen besonderen Redeteil gemacht hätte, weil der Genitiv sich nicht weiter deklinieren läßt. Wir sehen keinen Grund, im Adverbium eine besondere Wortart aufrecht zu halten. Wo die sogenannte Wurzel des Adverbiums sich noch in anderen Formen erhalten hat, da ist seine Kasuseigenschaft oft noch recht sichtbar; ich verweise nur auf die deutschen Worte: rechts, links, flugs. Ist die Endung im Lautwandel abgeschliffen, oder ist der Wortstamm verloren gegangen, dann ist das Verhältnis natürlich nicht mehr so durchsichtig, wie z. B. in "bald", dessen ursprüngliches Adjektiv (= schnell, kühn, tapfer) unserem Sprachgefühl nicht mehr gegenwärtig ist.

Alle Adverbien konnten sonach nur von deklinierenden Worten gebildet werden, von Substantiven, Adjektiven, vom Pronomen und vom Zahlwort. Die logische Analyse des im Satze ausgesprochenen Urteils hat zu der Bezeichnung Adverbium (eine wörtliche Übersetzung des griechischen epirrhema) geführt.

In den modernen Sprachen hat sich eine sehr konventionelle Art ausgebildet, aus jedem Adjektiv durch eine bestimmte Endung ein modales Adverbium zu schaffen. Das gilt besonders für die schulgerechtern romanischen Sprachen. Da kann, wie ihre Grammatiker lehren, z. B. im Französischen aus jedem Adjektiv durch Anhängen der Endsilbe ment ein Adverbium werden. Der ungelehrte Franzose weiß nicht, wenn er aus vrai (wahr) ein vraiment (wahrlich) macht, dass dieses ihm so geläufige Wort einmal ebenso künstlich entstanden ist, wie wenn er aus irgend einem selteneren Adjektiv durch Analogiebildung das entsprechende Adverbium macht, z. B. aus énorme énormément. Ich bemerke dazu, dass solche Formen wie énormément eigentlich nicht ins Lexikon gehören, weil sie ohne Ausnahme vom Adjektivstamm gebildet werden können, weil sie ins Lexikon nur durch die Behauptung der Grammatiker hineingekommen sind, es seien die Adverbien als eine besondere Art von Redeteilen aufzufassen. Der ungelehrte Franzose weiß nun ferner nicht, dass die Endsilbe ment nichts weiter ist als eine bestimmte Kasusform des lateinischen Wortes mens. Fortement findet sich im Lateinischen in der Form forti mente, mit starkem Geiste. Der Ablativ von mens konnte um so leichter zu einer tonlosen Endung werden, weil sich das lateinische Wort im Französischen nicht erhalten hatte (die Erhaltung in mention ist dem Sprachbewußtsein nicht gegenwärtig) und sich so der Bedeutungswandel vollständig vollziehen konnte. Max Müller hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Endsilbe ment auch dann angewandt wird, wenn von Geist oder Gemüt nicht mehr die Eede sein kann, wie wenn z. B. ein Hammer lourdement zu Boden fällt, dass ferner eine Ahnung des alten Sinnes sich im Spanischen noch erhalten hat, wo man anstatt claramente, concisamente y elegantemente eleganter sagen kann: clara, concisa y elegante mente. Im Portugiesischen leuchtet wenigstens noch der feminine Charakter der Endsilbe mente hervor.

Die deutsche Sprache ist freier von Verschultheit und gebraucht das abstrakte Adjektiv sehr häufig ohne Formänderung als Adverbium. Die Endsilbe lich hat offenbar die Neigung (wie in wahrlich, treulich) im Sinne des französischen ment verwendet zu werden, aber der Sprachgebrauch ist nicht fest; oft kann man im Deutschen zwischen lich und ig wählen. Sonst wäre der Hinweis lehrreich, dass das deutsche lich (englisch like oder auch ly) im Gegensatze zu dem romanischen mente vom Körper hergenommen ist (Leichdorn = Dorn im Körper) und dass Leiche oder Körper solchergestalt die Bedeutung von Gestalt angenommen hat wie auf umgekehrtem Wege das lateinische Wort für Geist (mens).

Wenn nun also das Adverbium nicht als besonderer Redeteil, sondern als eine alte Kasusform aufzufassen ist (die massenhaften Adverbien auf -ment oder -lich als Kasusformen der formelhaft gewordenen Worte mens und Leiche in Verbindung mit einem Adjektiv), wenn die Kasusformen ursprünglich stets räumliche Beziehungen anzeigen, wenn die Präpositionen, durch welche die neueren Sprachen Kasusformen ausdrücken, erst recht ursprünglich Präpositionen des Raumes sind; so werden wir zu dem Schlüsse geführt, dass alle unsere Adverbien von Hause aus lokale Adverbien sind. Es versteht sich von selbst, dass dieser ansprechende Schluß ein Trugschluß ist; denn wir haben kein Recht, die Vermutungen über die historischen Kasusformen gar auch noch auf die vorhistorischen auszudehnen. Es kommt aber noch mancherlei zusammen um uns fester daran glauben zu lassen, dass die Adverbien sich ursprünglich nicht von Beziehungen des Raumes trennen.