Stil der Alten


[B 20] Unsere neuen Kritiker preisen uns im Stil die edle und ungekünstelte Einfalt an, ohne uns durch ihr Beispiel auf diese edle Einfalt zu führen, alles was sie zu sagen wissen, ist, dass sie uns auf die Alten verweisen. In der Tat eine Art zu verfahren, die nicht anders als gefährlich sein kann. Nicht jeder, der edel einfältig schreiben soll, kann die Alten lesen, dieses wäre in der Tat zu viel verlangt, von dem aber, der eine solche Forderung tut, kann man mit Recht mehr verlangen. Er muß sich erklären. Der meiste Teil der Menschen, deren Stil getadelt worden ist, als nicht simpel genug, hat, wenn er schrieb, immer eine gewisse Spannung bei sich verspürt, eine gewisse Aufmerksamkeit, nichts zudringen zu lassen, was schlecht wäre, nun wollen sie ganz edel und schlechtweg schreiben, lassen von dieser Spannung nach und nun dringt alles Gemeine zu. Simpel und edel simpel schreiben erfordert vielleicht die größte Spannung der Kräfte, weil in einer all gemeinen Bestrebung unserer Seelenkräfte, gefallen zu wollen, sich nichts so leicht einschleicht als das Gesuchte, es wird außerdem eine ganz eigene Art dazu erfordert die Dinge in der Welt zu betrachten, die eher das Werk eines nicht sehr belesenen schönen Geistes als eines Studiums des Altertums ist. Wenigstens glaube ich, soll man nie die Einfalt aus anderen Schriften zuerst kennen lernen wollen. Wer so viel Latein versteht, daß er den Horaz ohne Anstand lesen kann, und er gefällt ihm wirklich nicht bloß in einigen Sentenzen, sondern auch weiter, und spürt, daß trotz einer oft überraschenden Schönheit dennoch sein Gefühl immer mit dem Horazischen gleich geht, der kann hernach den Horaz zu seinem Unterricht lesen, er wird was in ihm Schönes liegt alsdann noch mehr entwickeln. Wer aber gehört hat, Horaz sei schön, liest ihn ohne ihn würklich seiner Empfindung harmonisch zu finden, merkt sich einige Züge und ahmt ihn nach, der muß entweder ein sehr feiner Betrüger sein, oder es wird allemal unglücklich ausfallen. Ein solcher Schriftsteller wird allemal glauben, er habe ihn übertroffen, so oft er eine Zeile niederschreibt, und dieses zwar deswegen, weil er die Schönheiten des Horaz als absolut für sich bestehend ansieht und nicht bedenkt, dass sie in einer gewissen Verhältnis mit der menschlichen Natur stehen, die er nicht kennt, also nicht weiß, wo der Punkt ist, unter welchem keine Schönheit, und über welchem keine Simplizität mehr stattfindet.

 

[B 360] Was hilft das Lesen der Alten, sobald ein Mensch den Stand der Unschuld einmal verloren hat, und wo er hinsieht, überall sein System wieder erblickt, daher urteilt der mittelmäßige Kopf, es sei leicht wie Horaz zu schreiben, weil [er] es für leicht hält besser zu schreiben, und weil dieses besser zum Unglück schlechter ist. Je älter man wird (vorausgesetzt, daß man mit dem Alter weiser werde), desto mehr verliert man die Hoffnung, besser zu schreiben als die Alten, am Ende sieht man, dass das Eichmaß alles Schönen und Richtigen die Natur ist, dass wir dieses Maß alle in uns tragen, aber so überrostet von Vorurteilen, von Wörtern wozu die Begriffe fehlen, von falschen Begriffen, dass sich nichts mehr damit messen läßt.

 


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