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Kraftgenie

Kraftgenie gehört nebst zahlreichen anderen Zusammensetzungen zu den Ausdrücken, die eine ganze Literaturperiode schlagend charakterisieren. Es ist dies die Zeit von 1776 bis Anfang der achtziger Jahre, als eine ganze Reihe genialer und genialitätssüchtiger Dichter gegen Regelzwang und Konvention anstürmten und in überschäumendem Kraft- und Selbstgefühl neue, originelle Produktionen zu schaffen versuchten. Vgl. Bahrdt, Kirchen- und Ketzeralmanach auf das Jahr 1781, S. 74, wo über Herder bemerkt wird: „Ist ein Kraftgenie. Und man weiß ja, wie diese Herren sind. Sie rennen überall den Leuten wider die Stirn, schlagen links und rechts um sich, seh’n alles, was ihnen in den Weg kommt, für unsers Herrgotts Hornvieh an, und denken sich immer als die Einzigen vernünftigen Geschöpfe, die unter dem Monde leben.“ Weitere Beispiele bietet in guter Auswahl das DWb. aus Gotter, Musäus, Knigge usf. Siehe auch Feldmanns Angaben, ZfdW. 6, 328.

Von den an beiden Orten in reicher Fülle sonst noch gebuchten Zusammensetzungen seien besonders angemerkt: „Kraftmann“ bei Bürger, Briefe 1, 382 (1776), „Kraftbube“ ebenda 2, 12 (1777), „Kraftknabe“ bei Zimmermann (1784) und die aus Lichtenberg belegten Hohnworte „Kraftbarde“ und „Krafthase“. Andere, meist spöttische Bildungen begegnen bei Voß, Jean Paul, Merck u. a.

Vgl. auch Lavater 1, 327 (1790): Kraftgeister, ferner den Titel eines 1791 zu Berlin erschienenen Schriftchens: „Taten und Feinheiten renomierter Kraft- und Kniffgenies“, wo das Schlagwort bereits jede literarische Färbung abgestreift hat und in freier Übertragung gebraucht wird. Ayrenhoff 4, 177 schreibt in einem satirischen Theaterstück: „Der große Haufen — nach und nach von den Schwärmern ganz angesteckt — begehrte die sogenannten Kraftstücke, und, mitunter, die sittenlosesten und albernsten.“ Daher konstatiert Campe, Ergb. S. 336: „In neueren Zeiten wäre das Wort Genie beinahe zu einem Spott- und Schimpfnamen herabgesunken, weit einige junge Brauseköpfe ohne Erziehung und Ausbildung, welchen es aber nicht an hervorstechenden Fähigkeiten mangelte, eine Zeitlang so viel Unfug in der gelehrten Welt trieben, dass der Name Genie, den sie sich selbst beilegten, dadurch gleichbedeutend, wo nicht gar mit Tölpel, doch mit Schwindel- oder Brausekopf und mit Kraftmann oder Kraftmännchen ward.“

Noch im Jahre 1808 verhöhnt Voß im Morgenblatt mit der Neuprägung „Kräftling“ die Romantiker ausdrücklich als eingebildete Genies.