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Humanität

Humanität, ein wichtiges kulturgeschichtliches Schlagwort, das seit seiner Ausprägung bei den Römern eine denkwürdige Geschichte hinter sich hatte, als es Herder wohl zuerst in den „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ (1784) so nachdrücklich aufnahm und als bedeutsames Programmwort seinen Zeitgenossen verkündigte. Vergl. 13, 154, wo er im VI. Kapitel des vierten Buches, das überschrieben ist: Zur Humanität und Religion ist der Mensch gebildet, des näheren ausführt: „Ich wünsche, dass ich in das Wort Humanität alles fassen könnte, was ich bisher über des Menschen edle Bildung zur Vernunft und Freiheit, zu feineren Sinnen und Trieben, zur zartesten und stärksten Gesundheit, zur Erfüllung und Beherrschung der Erde gesagt habe: denn der Mensch hat kein edleres Wort für seine Bestimmung als Er selbst ist, in dem das Bild des Schöpfers unserer Erde, wie es hier sichtbar werden konnte, abgedruckt lebt.“

Noch nach Jahren kommt er daraus zurück 17, 407 (1795): „Ohne ein Newton zu sein, musste ich den Charakter unseres Geschlechts, seine Anlagen und Kräfte, seine offenbare Tendenz, mithin auch den Zweck, wozu es hienieden bestimmt ist, in kein simpleres Wort zu fassen, als Humanität, Menschheit. Andre vortreffliche Denker sind mir seitdem hierin gefolgt; unter denen ich nur Eine neuere Gedankenreiche Schrift anführe: Über Humanität, Leipzig 1793.“

Namentlich Herders 1793 ff. zu Riga veröffentlichte Schrift „Briefe zu Beförderung der Humanität“ trug dieses Schlagwort in weiteste Kreise. Daraus sei nur eine Stelle 17, 137 s. angeführt: „Sie fürchten, dass man dem Wort Humanität einen Fleck anhängen werde; könnten wir nicht das Wort ändern? Menschheit, Menschlichkeit, Menschenrechte, Menschenpflichten, Menschenwürde, Menschenliebe?“ Gleichwohl hat er gegen alle diese Ersatzworte Bedenken und summiert: „Alte diese Worte enthalten Teilbegriffe unseres Zwecks, den wir gern mit Einem Ausdruck bezeichnen möchten.

Also wollen wir bei dem Wort Humanität bleiben, an welches unter Alten und Neueren die besten Schriftsteller so würdige Begriffe geknüpft haben. Humanität ist der Charakter unseres Geschlechts; er ist uns aber nur in Anlagen angeboren, und muss uns eigentlich angebildet werden. Wir bringen ihn nicht fertig auf die Welt mit; aus der Welt aber soll er das Ziel unseres Bestrebens, die Summe unserer Übungen, unser Wert sein.“1

Wie rasch der Ausdruck zugleich Modewort wurde, zeigt Feldmann ZfdW. 6, 108 an Wieland, der entgegen seinen sonstigen puristischen Neigungen in späterer Zeit für das ursprünglich gebrauchte Wort „Menschlichkeit“ in der Gesamtausgabe seiner Werke (1794 ff.) umgekehrt einmal das Fremdwort „Humanität“ einsetzt. Vergl. auch in Tiecks Stück „Prinz Zerbino“ (1799) eine Stelle des 6. Aktes: „Philosophen für die Welt, Aufklärung, Gesangbücher, Predigten, Romane, alles, alles atmet den schönen Sinn der Humanität und Toleranz.“ Derselbe Dichter lässt in seinem im Jahre 1800 verfassten Fastnachtsschwank „Der Autor“ den Weltmann die Belehrung erteilen:

"Nur hübsch der Vielseitigkeit sich beflissen,
Müssen scheinen, so ziemlich alles zu wissen,
Dazu die liebe Humanität,
Die jetzt in allen Kalendern steht
So kann es Ihnen bei meiner Seelen
In unserer Welt gar niemals fehlen.“

Kotzebue 10, 174 (1800) bemerkt: „Die Wissenschaften veredeln den Menschen, machen ihn — wie nennen sie es doch gleich? — human. Das ist ein neues Modewort.“

Unter den Gegnern des modischen Schlagwortes verdient Lampe, Ergb. S. 356 f. Erwähnung, welcher eigens konstatiert: „Humanität: Dieses fremde Wort ist seit einigen Jahren, besonders durch Herder, der es zum Titel eines seiner Werke machte, in lebhaften Umlauf gekommen; und es gibt jetzt Schriftsteller, die kaum ein Seite schreiben können, auf der dies undeutsche Lieblingswort nicht wenigstens Einmal angebracht wäre.“ Durch eine ausführliche Auslassung seines Freundes Stuve, der den Ausdruck wegen seiner Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit ebenfalls rundweg ablehnt, begründet Lampe seinen Verdeutschungsvorschlag Menschentümlichkeit. Das ursprünglich gebilligte Wort Menschentum, welches Eschenburg als eine Logausche Prägung dafür empfohlen hatte, scheint ihm doch den Begriff nicht ganz zu decken.

Der allzu übertriebene Humanitätskultus hat manches herbe Tadelswort hervorgerufen. Fichte 7, 321 (1808) erwähnt die „drei berüchtigten Worte Humanität, Popularität, Liberalität“. Vergl. auch Immermann 11, 308 f. (1830) der in einem stark ironischen Gedicht: „Humanität des Jahrhunderts“ betitelt, übertriebene Menschenbeglücker persifliert, oder Börne 6, 214 (1835), der gegen Goethe polemisiert, weil dieser die „Humanitätssalbader“ verspottet habe, welche für die Forderungen der Frankfurter Juden eingetreten seien.

Modernen Ursprungs ist erst das mitleidige Hohnwort vom Humanitätsdusel.


  1. Vergl. die gute Zusammenfassung bei Menzel, Deutsche Literatur 3, 315: „Was Herder mit dem Ausdruck Humanität, als das Ziel seines ganzen Strebens sich bezeichnet, war die Blütenkrone alles Menschlichen, das Ideale, Reine, Edle, Schöne, zu dem alle Zeiten und Völker, alle Institute führen sollen … Er sah in der Welt ein organisches Ganzes, eine Pflanze, die in ihrer fortschreitenden Entwicklung jene Blüte des Edlen und Schönen tragen soll. Entwicklung, Evolution war ihm das Wesen der Welt, kein Stillstand, kein Zwiespalt ohne höhere Bindung.“