Leben
Leben nennt man die Existenzweise derjenigen Körper, welche bei beständigem Wechsel ihrer stofflichen Bestandteile ihre ererbte Form eine Zeitlang bis zu einem bestimmten Maximum im wesentlichen bewahren. Alle Formen des Lebens beruhen zunächst auf dem Stoffwechsel, d.h. auf den ununterbrochenen chemischen Veränderungen der Bestandteile, aus denen der lebende Körper aufgebaut ist, in Verbindung mit beständiger Ausscheidung unbrauchbar gewordener und stetiger Aufnahme neuer den Körper erhaltender Stoffe. Das Leben ist gebunden an ein Grund- und Elementarorgan. Die Körper der lebenden Wesen sind aus Zellen gebildet, kleinen Bläschen, die in der Zellwand das eiweißhaltige Protoplasma und den Zellkern einschließen und deren Entwicklung darin besteht, daß sie sich teilen. Ihrer chemischen Beschaffenheit nach bestehen die lebenden Körper aus ternär, quaternär und höher zusammengesetzten Grundbestandteilen (organischen Radikalen), welche außerhalb der Organismen leicht zersetzt werden, innerhalb derselben aber durch den Stoffwechsel eine stete Verjüngung (Um- und Neubildung) erfahren. Ihre Tätigkeit geschieht von innen heraus (Spontaneität), wenn sie auch der Anregung von außen bedürfen. Sie wachsen durch innere Vervielfältigung, Umbildung und Teilung der zelligen Gebilde zu bestimmter äußerer Form, die schon den Wesen, aus denen sie entstanden sind, eigen war, und es bilden sich aus ihnen durch Sprossen, Samen oder Eier neue Geschöpfe, welche ihnen nach Form und Gestalt genau entsprechen. Bei den höheren Lebewesen bildet sich dazu Eigenwärme, Bewegungsvermögen und Empfindung heraus. Aber alles Leben ist von beschränkter Dauer. Es entsteht, entwickelt sich und hört auf, indem für jede besondere Form eine gewisse Zeit nicht überschritten wird. Das Aufhören des Lebens nennen wir Tod; nach dem Tode wandeln sich die früheren Lebewesen stofflich nur nach den allgemeinen chemischen und physikalischen Kräften um.
Die leblosen Körper hingegen sind entweder ungeformt (amorph) oder kristallinisch; sie sind binär zusammengesetzt, unterliegen den zersetzenden Einflüssen der Außenwelt (Verwitterung), ohne sich zu reproduzieren; sie wachsen nicht durch innere Fortentwicklung, sie haben keine Eigenwärme, Empfindung, Selbstbewegung. – Das Leben hat drei Stufen: das latente oder Keimleben in den Samen und Eiern, welches seine Lebensfähigkeit viele Jahre lang behauptet; so sind Samen von Getreide bis zu sieben Jahren, Samen von Gemüsearten noch viel länger keimfähig. Ähnliche Erscheinungen zeigt der Larven- und Puppenzustand mancher Insekten, der Winterschlaf vieler Pflanzen und Tiere, der Scheintod. Das pflanzliche (vegetative) Leben besteht aus Ernährung, Wachstum, Absonderung und Fortpflanzung, ohne Ortsbewegung und Empfindung. Doch zeigen sich Anfänge von Reizbewegungen schon im Pflanzenleben. Das tierische (animalische) Leben zeigt willkürliche, an ein Nervensystem gebundene Selbstbewegung, Empfindung, seelische und geistige Tätigkeit. Die Wissenschaft vom Leben heißt Biologie (s. d.); Hilfswissenschaften sind; Pflanzen- und Tierkunde, Anatomie und Physiologie. Vgl. Moleschott, Kreislauf des Lebens. 5. Aufl. Mainz 1886. Gorup-Besanez, Lehrb. d. physiol. Chemie. 1874. H. Lotze, Mikrokosmus I. 3. Aufl. 1876. Weismann, üb. Leben u. Tod. Jena 1884. H. Spencer, Principles of Biology. 1864-1867. Ins Dtsch. übers, von Vetter. Stuttgart 1876-1877. Vgl. Organismus.