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3. Das abgeschlossene Feld des rein Psychischen. — Phänomenologische Reduktion und echte innere Erfahrung

Die Idee einer phänomenologischen Psychologie ist durch die ganze Weite des aus der Selbsterfahrung und der in ihr fundierten Fremderfahrung entspringenden Aufgabenkreises umzeichnet. Aber es ist noch nicht klar, ob eine in Ausschließlichkeit und Konsequenz fortgeführte phänomenologische Erfahrung uns ein derart abgeschlossenes Seinsfeld verschafft, daß eine ausschließlich darauf bezogene, von allem Psychophysischen reinlich abgelöste Wissenschaft erwachsen kann. Hier bestehen in der Tat Schwierigkeiten, welche den Psychologen selbst nach Brentanos Entdeckung der Intentionalität die Möglichkeit einer solchen rein phänomenologischen Psychologie verdeckt haben. Sie betreffen schon die Herstellung einer wirklich reinen Selbsterfahrung und damit eines wirklich rein psychischen Datums. Es bedarf einer besonderen Zugangsmethode zum rein phänomenologischen Feld. Diese Methode der „phänomenologischen Reduktion“ ist also die Grundmethode der reinen Psychologie, die Voraussetzung aller ihrer spezifisch theoretischen Methoden. Letztlich beruht alle Schwierigkeit auf der Art, wie schon die Selbsterfahrung der Psychologen überall mit äußerer Erfahrung, der vom außerpsychischen Realen, verflochten ist. Das erfahrene „Äußere“ gehört nicht zur intentionalen Innerlichkeit, obschon doch die Erfahrung selbst dazu gehört als Erfahrung vom Äußeren. Ebenso für jederlei sonstiges Bewußtsein, das auf ein Weltliches gerichtet ist. Es bedarf also einer konsequenten epoché des Phänomenologen, wenn er sein Bewußtsein als reines Phänomen gewinnen will, einzelweise, aber auch als das Ganze seines reinen Lebens. D. h. er muß im Vollzug der phänomenologischen Reflexion jeden Mitvollzug der im unreflektierten Bewußtsein betätigten objektiven Setzungen inhibieren und damit jedes urteilsmäßige Hereinziehen der für ihn geradehin „daseienden“ Welt. Die jeweilige Erfahrung von diesem Haus, von diesem Leib, von einer Welt überhaupt ist und bleibt aber ihrem eigenen Wesensgehalt nach, also unabtrennbar, Erfahrung „von diesem Haus“, diesem Leib, dieser Welt, und so für jederlei Bewußtseinsweise, die objektiv gerichtet ist. Es ist ja unmöglich, ein intentionales Erlebnis zu beschreiben, auch wenn es ein illusionäres ist, ein nichtiges Urteilen und dgl., ohne das in ihm Bewußte als solches mit zu beschreiben. Die universale Epoche hinsichtlich der bewußt werdenden Welt (ihre „Einklammerung“) schaltet aus dem phänomenologischen Feld die für das betreffende Subjekt schlechthin seiende Welt aus, aber an ihre Stelle tritt die so und so bewußte (wahrgenommene, erinnerte, beurteilte, gedachte, gewertete etc.) Welt „als solche“, die „Welt in Klammern“ oder, was dasselbe, es tritt an die Stelle der Welt bzw. des einzelnen Weltlichen schlechthin der jeweilige Bewußtseinssinn in seinen verschiedenen Modis (Wahrnehmungssinn, Erinnerungssinn usw.).

Damit klärt und ergänzt sich unsere erste Bestimmung der phänomenologischen Erfahrung und ihrer Seinssphäre. Im Rückgang von den in der natürlichen Einstellung gesetzten Einheiten auf die mannigfaltigen Bewußtseinsweisen, in denen sie erscheinen, sind, als von diesen Mannigfaltigkeiten unabtrennbar, auch die Einheiten — aber als „eingeklammerte“ — dem rein Psychischen zuzurechnen und dann jeweils in den Erscheinungscharakteren, in denen sie sich darbieten. Die Methode der phänomenologischen Reduktion (auf die reinen „Phänomene“, das rein Psychische) besteht danach 1) in der methodischen und streng konsequenten epoché bei jeder in der seelischen Sphäre auftretenden objektiven Setzung, sowohl am einzelnen Phänomen als an dem ganzen seelischen Bestand überhaupt; 2) in der methodisch geübten Erfassung und Beschreibung der mannigfaltigen „Erscheinungen“ als Erscheinungen ihrer gegenständlichen Einheiten und der Einheiten als Einheiten der ihnen jeweils in den Erscheinungen zuwachsenden Sinnbestände. Es zeigt sich damit eine doppelte „noetische“ und „noematische“ Richtung der phänomenologischen Beschreibungen an. — Die phänomenologische Erfahrung in der methodischen Gestalt der phänomenologischen Reduktion ist die einzig echte „innere Erfahrung“ im Sinne jeder wohlbegründeten psychologischen Wissenschaft. In ihrem eigenen Wesen liegt offenbar die Möglichkeit, kontinuierlich unter methodischer Erhaltung der Reinheit fortgeführt zu werden in infinitum. Die reduktive Methode überträgt sich von der Selbsterfahrung auf die Fremderfahrung, sofern im vergegenwärtigten Leben des Anderen die entsprechende Einklammerung und Beschreibung nach Erscheinung und Erscheinendem im subjektiven Wie („Noesis“ und „Noema“) vollzogen werden kann. In weiterer Folge reduziert sich die in der Gemeinschaftserfahrung erfahrene Gemeinschaft nicht nur auf die seelisch vereinzelten intentionalen Felder sondern auf die Einheit des intersubjektiven, sie alle verbindenden Gemeinschaftslebens in seiner phänomenologischen Reinheit (intersubjektive Reduktion). So ergibt sich die volle Erweiterung des echten psychologischen Begriffes von „innerer Erfahrung“.

Zu jeder Seele gehört nicht nur die Einheit ihres mannigfaltigen intentionalen Lebens mit all den von ihm als einem „objektiv“ gerichteten unabtrennbaren Sinneseinheiten. Unabtrennbar ist von diesem Leben das in ihm erlebende Ichsubjekt als der identische, alle Sonderintentionalitäten zentrierende „Ichpol“ und als Träger der ihm aus diesem Leben zuwachsenden Habitualitäten. So ist dann auch die reduzierte Intersubjektivität, in Reinheit und konkret gefaßt, eine im intersubjektiven reinen Bewußtseinsleben sich betätigende Gemeinschaft von reinen Personen.