Spätere Notiz
(1854)
Berichterstattungen über die erste Vorstellung eines Dramas, wo schon der gefeierte Name des Autors die Neugier reizt, müssen mit großer Eilfertigkeit abgefaßt und abgeschickt werden, damit nicht böswillige Mißurteile oder verunglimpfender Klatsch einen bedenklichen Vorsprung gewinnen. In den vorstehenden Blättern fehlt daher jede nähere Besprechung des Dichters oder vielmehr der Dichterin, die hier ihren ersten Bühnenversuch wagte; ein Versuch, der gänzlich mißglückte, so daß die Stirn, die an Lorbeerkränze gewöhnt, diesmal mit sehr fatalen Dornen gekrönt worden. Für die angedeutete Entbehrnis in obigem Berichte bieten wir heute einen notdürftigen Ersatz, indem wir aus einer vor etlichen Jahren geschriebenen Monographie etwelche Bemerkungen über die Person oder vielmehr die persönliche Erscheinung George Sands hier mitteilen. Sie lauten wie folgt:
„Wie männiglich bekannt, ist George Sand ein Pseudonym, der nom de guerre einer schönen Amazone. Bei der Wahl dieses Namens leitete sie keineswegs die Erinnerung an den unglückseligen Sand, den Meuchelmörder Kotzebues, des einzigen Lustspieldichters der Deutschen. Unsere Heldin wählte jenen Namen, weil er die erste Silbe von Sandeau; so hieß nämlich ihr Liebhaber, der ein achtungswerter Schriftsteller, aber dennoch mit seinem ganzen Namen nicht so berühmt werden konnte wie seine Geliebte mit der Hälfte desselben, die sie lachend mitnahm, als sie ihn verließ. Der wirkliche Name von George Sand ist Aurora Dudevant, wie ihr legitimer Gatte geheißen, der kein Mythos ist, wie man glauben sollte, sondern ein leiblicher Edelmann aus der Provinz Berry, und den ich selbst einmal das Vergnügen hatte mit eigenen Augen zu sehen. Ich sah ihn sogar bei seiner damals schon de facto geschiedenen Gattin, in ihrer kleinen Wohnung auf dem Quai Voltaire, und daß ich ihn eben dort sah, war an und für sich eine Merkwürdigkeit, ob welcher, wie Chamisso sagen würde, ich selbst mich für Geld sehen lassen könnte. Er trug ein nichtssagendes Philistergesicht und schien weder böse noch roh zu sein, doch begriff ich sehr leicht, daß diese feuchtkühle Tagtäglichkeit, dieser porzellanhafte Blick, diese monotonen, chinesischen Pagodenbewegungen für ein banales Weibzimmer sehr amüsant sein konnten, jedoch einem tieferen Frauengemüte auf die Länge sehr unheimlich werden und dasselbe endlich mit Schauder und Entsetzen, bis zum Davonlaufen, erfüllen mußten.
Der Familienname der Sand ist Dupin. Sie ist die Tochter eines Mannes von geringem Stande, dessen Mutter die berühmte, aber jetzt vergessene Tänzerin Dupin gewesen. Diese Dupin soll eine natürliche Tochter des Marschalls Moritz von Sachsen gewesen sein, welcher selber zu den vielen hundert Hurenkindern gehörte, die der Kurfürst August der Starke hinterließ. Die Mutter des Moritz von Sachsen war Aurora von Königsmark, und Aurora Dudevant, welche nach ihrer Ahnin genannt wurde, gab ihrem Sohne ebenfalls den Namen Moritz. Dieser und ihre Tochter, Solange geheißen und an den Bildhauer Clésinger vermählt, sind die zwei einzigen Kinder von George Sand. Sie war immer eine vortreffliche Mutter, und ich habe oft stundenlang dem französischen Sprachunterricht beigewohnt, den sie ihren Kindern erteilte, und es ist schade, daß die sämtliche Académie Française diesen Lektionen nicht beiwohnte, da sie gewiß davon viel profitieren konnte.
George Sand, die größte Schriftstellerin, ist zugleich eine schöne Frau. Sie ist sogar eine ausgezeichnete Schönheit. Wie der Genius, der sich in ihren Werken ausspricht, ist ihr Gesicht eher schön als interessant zu nennen; das Interessante ist immer eine graziöse oder geistreiche Abweichung vom Typus des Schönen, und die Züge von George Sand tragen eben das Gepräge einer griechischen Regelmäßigkeit. Der Schnitt derselben ist jedoch nicht schroff und wird gemildert durch die Sentimentalität, die darüber wie ein schmerzlicher Schleier ausgegossen. Die Stirn ist nicht hoch, und gescheitelt fällt bis zur Schulter das köstliche kastanienbraune Lockenhaar. Ihre Augen sind etwas matt, wenigstens sind sie nicht glänzend, und ihr Feuer mag wohl durch viele Tränen erloschen oder in ihre Werke übergegangen sein, die ihre Flammenbrände über die ganze Welt verbreitet, manchen trostlosen Kerker erleuchtet, vielleicht aber auch manchen stillen Unschuldstempel verderblich entzündet haben. Der Autor von „Lélia“ hat stille, sanfte Augen, die weder an Sodom noch an Gomorrha erinnern. Sie hat weder eine emanzipierte Adlernase noch ein witziges Stumpfnäschen; es ist eben eine ordinäre gerade Nase. Ihren Mund umspielt gewöhnlich ein gutmütiges Lächeln, es ist aber nicht sehr anziehend; die etwas hängende Unterlippe verrät ermüdete Sinnlichkeit. Das Kinn ist vollfleischig, aber doch schön gemessen. Auch ihre Schultern sind schön, ja prächtig. Ebenfalls die Arme und die Hände, die sehr klein, wie ihre Füße. Die Reize des Busens mögen andere Zeitgenossen beschreiben; ich gestehe meine Inkompetenz. Ihr übriger Körperbau scheint etwas zu dick, wenigstens zu kurz zu sein. Nur der Kopf trägt den Stempel der Idealität, erinnert an die edelsten Überbleibsel der griechischen Kunst, und in dieser Beziehung konnte immerhin einer unserer Freunde die schöne Frau mit der Marmorstatue der Venus von Milo vergleichen, die in den unteren Sälen des Louvres aufgestellt. Ja, George Sand ist schön wie die Venus von Milo; sie übertrifft diese sogar durch manche Eigenschaften: sie ist z.B. sehr viel jünger. Die Physiognomen, welche behaupten, daß die Stimme des Menschen seinen Charakter am untrüglichsten ausspreche, würden sehr verlegen sein, wenn sie die außerordentliche Innigkeit einer George Sand aus ihrer Stimme herauslauschen sollten. Letztere ist matt und welk, ohne Metall, jedoch sanft und angenehm. Die Natürlichkeit ihres Sprechens verleiht ihr einigen Reiz. Von Gesangsbegabnis ist bei ihr keine Spur; George Sand singt höchstens mit der Bravour einer schönen Grisette, die noch nicht gefrühstückt hat oder sonst nicht eben bei Stimme ist. Das Organ von George Sand ist ebensowenig glänzend wie das, was sie sagt. Sie hat durchaus nichts von dem sprudelnden Esprit ihrer Landsmänninnen, aber auch nichts von ihrer Geschwätzigkeit. Dieser Schweigsamkeit liegt aber weder Bescheidenheit noch sympathetisches Versenken in die Rede eines andern zum Grunde. Sie ist einsilbig vielmehr aus Hochmut, weil sie dich nicht wert hält, ihren Geist an dir zu vergeuden, oder gar aus Selbstsucht, weil sie das Beste deiner Rede in sich aufzunehmen trachtet, um es später in ihren Büchern zu verarbeiten. Daß George Sand aus Geiz im Gespräche nichts zu geben und immer etwas zu nehmen versteht, ist ein Zug, worauf mich Alfred de Musset einst aufmerksam machte. ‚Sie hat dadurch einen großen Vorteil vor uns andern‘, sagte Musset, der in seiner Stellung als langjähriger Cavaliere servente jener Dame die beste Gelegenheit hatte, sie gründlich kennenzulernen.
Nie sagt George Sand etwas Witziges, wie sie überhaupt eine der unwitzigsten Französinnen ist, die ich kenne. Mit einem liebenswürdigen, oft sonderbaren Lächeln hört sie zu, wenn andere reden, und die fremden Gedanken, die sie in sich aufgenommen und verarbeitet hat, gehen aus dem Alambik ihres Geistes weit kostbarer hervor. Sie ist eine sehr feine Horcherin. Sie hört auch gerne auf den Rat ihrer Freunde. Bei ihrer unkanonischen Geistesrichtung hat sie, wie begreiflich, keinen Beichtvater; doch da die Weiber, selbst die emanzipationssüchtigsten, immer eines männlichen Lenkers, einer männlichen Autorität bedürfen, so hat George Sand gleichsam einen literarischen directeur de conscience, den philosophischen Kapuziner Pierre Leroux. Dieser wirkt leider sehr verderblich auf ihr Talent, denn er verleitet sie, sich in unklare Faseleien und halbausgebrütete Ideen einzulassen, statt sich der heitern Lust farbenreicher und bestimmter Gestaltungen hinzugeben, die Kunst der Kunst wegen übend. Mit weit weltlichern Funktionen hatte George Sand unsern vielgeliebten Frédéric Chopin betraut. Dieser große Musiker und Pianist war während langer Zeit ihr Cavaliere servente; vor seinem Tode entließ sie ihn; sein Amt war freilich in der letzten Zeit eine Sinekure geworden.
Ich weiß nicht, wie mein Freund Heinrich Laube einst in der „Allgemeinen Zeitung“ mir eine Äußerung in den Mund legen konnte, die dahin lautete, als sei der damalige Liebhaber von George Sand der geniale Franz Liszt gewesen. Laubes Irrtum entstand gewiß durch Ideenassoziationen, indem er die Namen zweier gleichberühmten Pianisten verwechselte. Ich benutze diese Gelegenheit, dem guten oder vielmehr dem ästhetischen Leumund der Dame einen wirklichen Dienst zu erweisen, indem ich meinen deutschen Landsleuten zu Wien und Prag die Versicherung erteile, daß es eine der miserabelsten Verleumdungen ist, wenn dort einer der miserabelsten Liederkompositeurs vom mundfaulsten Dialekte, ein namenloses, kriechendes Insekt, sich rühmt, mit George Sand in intimem Umgange gestanden zu haben. Die Weiber haben allerlei Idiosynkrasien, und es gibt deren sogar, welche Spinnen verspeisen; aber ich bin noch keiner Frau begegnet, welche Wanzen verschluckt hätte. Nein, an dieser prahlerischen Wanze hat Lélia nie Geschmack gefunden, und sie tolerierte dieselbe nur manchmal in ihrer Nähe, weil sie gar zu zudringlich war.
Lange Zeit, wie ich oben bemerkt, war Alfred de Musset der Herzensfreund von George Sand. Sonderbarer Zufall, daß einst der größte Dichter in Prosa, den die Franzosen besitzen, und der größte ihrer jetzt lebenden Dichter in Versen (jedenfalls der größte nach Béranger), lange Zeit in leidenschaftlicher Liebe füreinander entbrannt, ein lorbeergekröntes Paar bildeten. George Sand in Prosa und Alfred de Musset in Versen überragen in der Tat den so gepriesenen Victor Hugo, der mit seiner grauenhaft hartnäckigen, fast blödsinnigen Beharrlichkeit den Franzosen und endlich sich selber weismachte, daß er der größte Dichter Frankreichs sei. Ist dieses wirklich seine eigene fixe Idee? Jedenfalls ist es nicht die unsrige. Sonderbar! die Eigenschaft, die ihm soviel fehlt, ist eben diejenige, die bei den Franzosen am meisten gilt und zu ihren schönsten Eigentümlichkeiten gehört. Es ist dieses der Geschmack. Da sie den Geschmack bei allen französischen Schriftstellern antrafen, mochte der gänzliche Mangel desselben bei Victor Hugo ihnen vielleicht eben als eine Originalität erscheinen. Was wir bei ihm am unleidlichsten vermissen, ist das, was wir Deutsche „Natur“ nennen: er ist gemacht, verlogen, und oft im selben Verse sucht die eine Hälfte die andere zu belügen; er ist durch und durch kalt, wie nach Aussagen der Hexen der Teufel ist, eiskalt sogar in seinen leidenschaftlichsten Ergüssen; seine Begeisterung ist nur eine Phantasmagorie, ein Kalkül ohne Liebe, oder vielmehr, er liebt nur sich; er ist ein Egoist, und damit ich noch Schlimmeres sage, er ist ein Hugoist. Wir sehen hier mehr Härte als Kraft, eine freche eiserne Stirn und, bei allem Reichtum der Phantasie und des Witzes, dennoch die Unbeholfenheit eines Parvenüs oder eines Wilden, der sich durch Überladung und unpassende Anwendung von Gold und Edelsteinen lächerlich macht: kurz, barocke Barbarei, gellende Dissonanz und die schauderhafteste Difformität! Es sagte jemand von dem Genius des Victor Hugo: „C’est un beau bossu.“ Das Wort ist tiefsinniger, als diejenigen ahnen, welche Hugos Vortrefflichkeit rühmen.
Ich will hier nicht bloß darauf hindeuten, daß in seinen Romanen und Dramen die Haupthelden mit einem Höcker belastet sind, sondern daß er selbst im Geiste höckericht ist. Nach unserer modernen Identitätslehre ist es ein Naturgesetz, daß der inneren, der geistigen Signatur eines Menschen auch seine äußere, die körperliche Signatur entspricht – diese Idee trug ich noch im Kopfe, als ich nach Frankreich kam, und ich gestand einst meinem Buchhändler Eugène Renduel, welcher auch der Verleger Hugos war, daß ich, nach der Vorstellung, die ich mir von letzterem gemacht hatte, nicht wenig verwundert gewesen sei, in Herrn Hugo einen Mann zu finden, der nicht mit einem Höcker behaftet sei. „Ja, man kann ihm seine Difformität nicht ansehen“, bemerkte Renduel zerstreut. „Wie“, rief ich, „er ist also nicht ganz frei davon?“ – „Nicht so ganz und gar“, war die verlegene Antwort, und nach vielem Drängen gestand mir Freund Renduel, er habe eines Morgens Herrn Hugo in dem Momente überrascht, wo er das Hemd wechselte, und da habe er bemerkt, daß eine seiner Hüften, ich glaube die rechte, so mißwüchsig hervortretend sei, wie man es bei Leuten findet, von denen das Volk zu sagen pflegt, sie hätten einen Buckel, nur wisse man nicht, wo er sitze. Das Volk in seiner scharfsinnigen Naivetät nennt solche Leute auch verfehlte Bucklichte, falsche Buckelmenschen, so wie es die Albinos weiße Mohren nennt. Es ist bedeutsam, daß es eben der Verleger des Dichters war, dem jene Difformität nicht verborgen blieb. „Niemand ist ein Held vor seinem Kammerdiener“, sagt das Sprüchwort, und vor seinem Verleger, dem lauernden Kammerdiener seines Geistes, wird auch der größte Schriftsteller nicht immer als ein Heros erscheinen; sie sehen uns zu oft in unserm menschlichen Negligé. Jedenfalls ergötzte ich mich sehr an der Entdeckung Renduels, denn sie rettet die Idee meiner deutschen Philosophie, daß nämlich der Leib der sichtbare Geist ist und die geistigen Gebresten auch in der Körperlichkeit sich offenbaren. Ich muß mich ausdrücklich gegen die irrige Annahme verwahren, als ob auch das Umgekehrte der Fall sein müsse, als ob der Leib eines Menschen ebenfalls immer sein sichtbarer Geist wäre und die äußerliche Mißgestalt auch auf eine innere schließen lasse. Nein, wir haben in verkrüppelten Hüllen sehr oft die geradgewachsen schönsten Seelen gefunden, was um so erklärlicher, da die körperlichen Difformitäten gewöhnlich durch irgendein physisches Ereignis entstanden sind und nicht selten auch eine Folge von Vernachlässigung oder Krankheit nach der Geburt. Die Difformität der Seele hingegen wird mit zur Welt gebracht, und so hat der französische Poet, an welchem alles falsch ist, auch einen falschen Buckel.
Wir erleichtern uns die Beurteilung der Werke George Sands, indem wir sagen, daß sie den bestimmten Gegensatz zu denen des Victor Hugo bilden. Jener Autor hat alles, was diesem fehlt: George Sand hat Wahrheit, Natur, Geschmack, Schönheit und Begeisterung, und alle diese Eigenschaften verbindet die strengste Harmonie. George Sands Genius hat die wohlgeründet schönsten Hüften, und alles, was sie fühlt und denkt, haucht Tiefsinn und Anmut. Ihr Stil ist eine Offenbarung von Wohllaut und Reinheit der Form. Was aber den Stoff ihrer Darstellungen betrifft, ihre Sujets, die nicht selten schlechte Sujets genannt werden dürften, so enthalte ich mich hier jeder Bemerkung, und ich überlasse dieses Thema ihren Feinden – –“