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G. Der Vaterkomplex und die Lösung der Rattenidee

Von der Krankheitsveranlassung reiferer Jahre führte ein Faden zurück in die Kindheit unseres Patienten. Er fand sich in einer Situation, wie sie nach seinem Wissen oder Vermuten der Vater vor seiner eigenen Eheschließung bestanden hatte, und konnte sich mit dem Vater identifizieren. Noch in anderer Weise spielte der verstorbene Vater in die rezente Erkrankung hinein. Der Krankheitskonflikt war im Wesen ein Widerstreit zwischen dem fortwirkenden Willen des Vaters und seiner eigenen verliebten Neigung. Nehmen wir Rücksicht auf die Mitteilungen, die der Patient in den ersten Stunden der Behandlung gemacht hatte, so können wir die Vermutung nicht abweisen, daß dieser Widerstreit ein uralter gewesen sei und sich schon in den Kinderjahren des Kranken ergeben habe.

Der Vater unseres Patienten war nach allen Auskünften ein ganz vortrefflicher Mann. Er war vor der Heirat Unteroffizier gewesen und hatte eine aufrichtige soldatische Art sowie eine Vorliebe für derbe Ausdrücke als Niederschlag aus diesem Stücke seines Lebens behalten. Außer den Tugenden, die der Leichenstein an jedermann zu rühmen pflegt, zeichnete ihn ein herzlicher Humor und eine gütige Nachsicht gegen seine Mitmenschen aus; es steht gewiß nicht im Widerspruche mit diesem Charakter, stellt sich vielmehr als Ergänzung zu ihm dar, daß er jäh und heftig sein konnte, was den Kindern, solange sie klein und schlimm waren, gelegentlich zu sehr empfindlichen Züchtigungen verhalf. Als die Kinder heranwuchsen, wich er von anderen Vätern darin ab, daß er sich nicht zur unantastbaren Autorität emporheben wollte, sondern in gutmütiger Offenheit die kleinen Verfehlungen und Mißgeschicke seines Lebens ihrer Mitwissenschaft preisgab. Der Sohn übertrieb gewiß nicht, wenn er aussprach, sie hätten miteinander verkehrt wie die besten Freunde, bis auf einen einzigen Punkt (vgl. S. 54). An diesem einen Punkte mußte es wohl gelegen sein, wenn den Kleinen der Gedanke an den Tod des Vaters mit ungewöhnlicher und ungebührlicher Intensität beschäftigte (S. 41), wenn solche Gedanken im Wortlaute seiner kindlichen Zwangsideen auftraten, wenn er sich wünschen konnte, der Vater möge sterben, damit ein gewisses Mädchen, durch Mitleid erweicht, zärtlicher gegen ihn werde (S. 52).

Es ist nicht zu bezweifeln, daß auf dem Gebiete der Sexualität etwas zwischen Vater und Sohn stand und daß der Vater in einen bestimmten Gegensatz zu der frühzeitig erwachten Erotik des Sohnes geraten war. Mehrere Jahre nach dem Tode des Vaters drängte sich dem Sohne, als er zum ersten Male die Lustempfindung eines Koitus erfuhr, die Idee auf: „Das ist doch großartig; dafür könnte man seinen Vater ermorden!“ Dies zugleich ein Nachklang und eine Verdeutlichung seiner kindlichen Zwangsideen. Kurz vor seinem Tode hatte der Vater übrigens direkt gegen die später dominierende Neigung unseres Patienten Stellung genommen. Er merkte, daß er die Gesellschaft jener Dame aufsuchte, und riet ihm von ihr mit den Worten ab, es sei nicht klug und er werde sich nur blamieren.

Zu diesen vollkommen gesicherten Anhaltspunkten kommt anderes hinzu, wenn wir uns zur Geschichte der onanistischen Sexualbetätigung unseres Patienten wenden. Es besteht auf diesem Gebiete ein noch nicht verwerteter Gegensatz zwischen den Ansichten der Ärzte und der Kranken. Letztere sind alle darin einig, die Onanie, unter der sie die Pubertätsmasturbation verstehen, als Wurzel und Urquell all ihrer Leiden hinzustellen; die Ärzte wissen im allgemeinen nicht, wie sie darüber denken sollen, aber unter dem Eindrucke der Erfahrung, daß auch die meisten später Normalen in den Pubertätsjahren eine Weile onaniert haben, neigen sie in ihrer Mehrzahl dazu, die Angaben der Kranken als grobe Überschätzungen zu verurteilen. Ich meine, daß die Kranken auch hierin eher recht haben als die Ärzte. Den Kranken dämmert hier eine richtige Einsicht, während die Ärzte in Gefahr sind, etwas Wesentliches zu übersehen. Es verhält sich gewiß nicht so, wie die Kranken ihren Satz selbst verstehen wollen, daß die fast typisch zu nennende Pubertätsonanie für alle neurotischen Störungen verantwortlich zu machen sei. Der Satz bedarf der Deutung. Aber die Onanie der Pubertätsjahre ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Auffrischung der bisher stets vernachlässigten Onanie der Kinderjahre, welche zumeist in den Jahren von 3 bis 4 oder 5 eine Art von Höhepunkt erreicht, und diese ist allerdings der deutlichste Ausdruck der sexuellen Konstitution des Kindes, in welcher auch wir die Ätiologie der späteren Neurosen suchen. Die Kranken beschuldigen unter solcher Verhüllung also eigentlich ihre infantile Sexualität, und darin haben sie vollauf recht. Das Problem der Onanie wird hingegen unlösbar, wenn man die Onanie als eine klinische Einheit auffassen will und daran vergißt, daß sie die Abfuhr der verschiedenartigsten Sexualkomponenten und der von ihnen gespeisten Phantasien darstellt. Die Schädlichkeit der Onanie ist nur zum geringen Anteil eine autonome, durch ihre eigene Natur bedingte. Der Hauptsache nach fällt sie mit der pathogenen Bedeutung des Sexuallebens überhaupt zusammen. Wenn so viele Individuen die Onanie, d. h. ein gewisses Ausmaß dieser Betätigung, ohne Schaden vertragen, so lehrt diese Tatsache nichts anderes, als daß bei ihnen die sexuelle Konstitution und der Ablauf der Entwicklungsvorgänge im Sexuelleben die Ausübung der Funktion unter den kulturellen Bedingungen gestattet hat,1 während andere infolge ungünstiger Sexualkonstitution oder gestörter Entwicklung an ihrer Sexualität erkranken, d. h. die Anforderungen zur Unterdrückung und Sublimierung der sexuellen Komponenten nicht ohne Hemmungen und Ersatzbildungen erfüllen können.

Unser Patient war in seinem Onanieverhalten recht auffällig; er entwickelte keine Pubertätsonanie und hätte also nach gewissen Erwartungen ein Anrecht darauf gehabt, frei von Neurose zu bleiben. Dagegen trat der Drang zur onanistischen Betätigung im 21. Jahre bei ihm auf, kurze Zeit nach dem Tode des Vaters. Er war sehr beschämt nach jeder Befriedigung und schwor ihr bald wieder ab. Von da an trat die Onanie nur bei seltenen und sehr merkwürdigen Anlässen wieder auf. Besonders schöne Momente, die er erlebte, oder besonders schöne Stellen, die er las, riefen sie hervor. So z. B. als er an einem schönen Sommernachmittag einen Postillon in der Innern Stadt so herrlich blasen hörte, bis ein Wachmann es ihm untersagte, weil in der Stadt das Blasen verboten sei! Oder ein andermal, als er in Dichtung und Wahrheit las, wie sich der junge Goethe in zärtlicher Aufwallung von der Wirkung eines Fluches befreite, den eine Eifersüchtige über die ausgesprochen, welche nach ihr seine Lippen küssen würde. Lange hatte er sich wie abergläubisch durch diesen Fluch abhalten lassen, jetzt aber zerriß er die Fessel und küßte sein Lieb herzlich ab.

Er verwunderte sich nicht wenig, daß er gerade bei solchen schönen und erhebenden Anlässen zur Masturbation gedrängt worden sei. Ich mußte aber aus diesen beiden Beispielen als das Gemeinsame das Verbot und das Sichhinaussetzen über ein Gebot herausheben.

In denselben Zusammenhang gehörte auch sein sonderbares Benehmen zu einer Zeit, da er für eine Prüfung studierte und mit der ihm liebgewordenen Phantasie spielte, der Vater lebe noch und könne jeden Moment wiederkommen. Er richtete es sich damals so ein, daß sein Studium auf die spätesten Nachtstunden fiel. Zwischen 12 und 1 Uhr nachts unterbrach er sich, öffnete die auf den Hausflur führende Tür, als ob der Vater davorstünde, und betrachtete dann, nachdem er zurückgekommen war, im Spiegel des Vorzimmers seinen entblößten Penis. Dies tolle Treiben wird unter der Voraussetzung verständlich, daß er sich so benahm, als ob er den Besuch des Vaters um die Geisterstunde erwartete. Zu seinen Lebzeiten war er eher ein fauler Student gewesen, worüber sich der Vater oft gekränkt hatte. Nun sollte er Freude an ihm haben, wenn er als Geist wiederkam und ihn beim Studieren traf. An dem andern Teile seines Tuns konnte der Vater aber unmöglich Freude haben; damit trotzte er ihm also und brachte so in einer unverstandenen Zwangshandlung die beiden Seiten seines Verhältnisses zum Vater nebeneinander zum Ausdrucke, ähnlich wie in der späteren Zwangshandlung vom Steine auf der Straße gegen die geliebte Dame.

Auf diese und ähnliche Anzeichen gestützt, wagte ich die Konstruktion, er habe als Kind im Alter von 6 Jahren irgendeine sexuelle Missetat im Zusammenhange mit der Onanie begangen und sei dafür vom Vater empfindlich gezüchtigt worden. Diese Bestrafung hätte der Onanie allerdings ein Ende gemacht, aber anderseits einen unauslöschlichen Groll gegen den Vater hinterlassen und dessen Rolle als Störer des sexuellen Genusses für alle Zeiten fixiert. (Vgl. die ähnlichen Vermutungen in einer der ersten Sitzungen, S. 55.) Zu meinem großen Erstaunen berichtete nun der Patient, ein solcher Vorfall aus seinen ersten Kinderjahren sei ihm von der Mutter wiederholt erzählt worden und offenbar darum nicht in Vergessenheit geraten, weil sich so merkwürdige Dinge an ihn knüpften. Seine eigene Erinnerung wisse allerdings nichts davon. Die Erzählung aber lautete: Als er noch sehr klein war — die genauere Zeitbestimmung ließe sich noch durch das Zusammentreffen mit der Todeskrankheit einer älteren Schwester gewinnen —, soll er etwas Arges angestellt haben, wofür ihn der Vater prügelte. Da sei der kleine Knirps in eine schreckliche Wut geraten und habe noch unter den Schlägen den Vater beschimpft. Da er aber noch keine Schimpfwörter kannte, habe er ihm alle Namen von Gegenständen gegeben, die ihm einfielen, und gesagt: „du Lampe, du Handtuch, du Teller“ usw. Der Vater hielt erschüttert über diesen elementaren Ausbruch im Schlagen inne und äußerte: „Der Kleine da wird entweder ein großer Mann oder ein großer Verbrecher!“2** Er meint, der Eindruck dieser Szene sei sowohl für ihn wie für den Vater ein dauernd wirksamer gewesen. Der Vater habe ihn nie wieder geprügelt; er selbst leitet aber ein Stück seiner Charakterveränderung von dem Erlebnisse ab. Aus Angst vor der Größe seiner Wut sei er von da an feige geworden. Er hatte übrigens sein ganzes Leben über schreckliche Angst vor Schlägen und verkroch sich vor Entsetzen und Empörung, wenn eines seiner Geschwister geprügelt wurde.

Eine erneuerte Nachfrage bei der Mutter brachte außer der Bestätigung dieser Erzählung die Auskunft, daß er damals zwischen 3 und 4 Jahre alt war und daß er die Strafe verdient, weil er jemanden gebissen hatte. Näheres erinnerte auch die Mutter nicht mehr; sie meinte recht unsicher, die von dem Kleinen beschädigte Person möge die Kinderfrau gewesen sein; von einem sexuellen Charakter des Delikts war in ihrer Mitteilung nicht die Rede.3

Indem ich die Diskussion dieser Kindheitsszene in die Fußnote verweise, führe ich an, daß durch deren Auftauchen seine Weigerung, an eine prähistorisch erworbene und später latent gewordene Wut gegen den geliebten Vater zu glauben, zuerst ins Wanken geriet. Ich hatte nur eine stärkere Wirkung erwartet, denn diese Begebenheit war ihm so oft auch vom Vater selbst erzählt worden, daß ihre Realität keinem Zweifel unterlag. Mit einer Fähigkeit, die Logik zu beugen, welche bei den sehr intelligenten Zwangskranken jedesmal höchst befremdend wirkt, machte er aber immer wieder gegen die Beweiskraft der Erzählung geltend, er erinnere sich doch nicht selbst daran. Er mußte sich also die Überzeugung, daß sein Verhältnis zum Vater wirklich jene unbewußte Ergänzung erforderte, erst auf dem schmerzhaften Wege der Übertragung erwerben. Es kam bald dazu, daß er mich und die Meinigen in Träumen, Tagesphantasien und Einfällen aufs gröblichste und unflätigste beschimpfte, während er mir doch mit Absicht niemals etwas anderes als die größte Ehrerbietung entgegenbrachte. Sein Benehmen während der Mitteilung dieser Beschimpfungen war das eines Verzweifelten. „Wie kommen Herr Professor dazu, sich von einem schmierigen, hergelaufenen Kerl wie ich so beschimpfen zu lassen? Sie müssen mich hinauswerfen; ich verdiene es nicht besser.“ Bei diesen Reden pflegte er vom Diwan aufzustehen und im Zimmer herumzulaufen, was er zuerst mit Feinfühligkeit motivierte; er bringe es nicht über sich, so gräßliche Dinge zu sagen, während er behaglich daliege. Er fand aber bald selbst die triftigere Erklärung, daß er sich meiner Nähe entziehe, aus Angst, von mir geprügelt zu werden. Wenn er sitzen blieb, so benahm er sich wie einer, der sich in verzweifelter Angst vor maßlosen Züchtigungen schützen will; er stützte den Kopf in die Hände, deckte sein Gesicht mit dem Arme, lief plötzlich mit schmerzlich verzerrten Zügen davon usw. Er erinnerte, daß der Vater jähzornig gewesen war und in seiner Heftigkeit manchmal nicht mehr wußte, wie weit er gehen durfte. In solcher Schule des Leidens gewann er allmählich die ihm mangelnde Überzeugung, die sich jedem andern, nicht persönlich Beteiligten wie selbstverständlich ergeben hätte; dann war aber auch der Weg zur Auflösung der Rattenvorstellung frei. Eine Fülle von bisher zurückgehaltenen tatsächlichen Mitteilungen wurde nun auf der Höhe der Kur zur Herstellung des Zusammenhanges verfügbar.

In der Darstellung desselben werde ich, wie angekündigt, aufs äußerste verkürzen und resümieren. Das erste Rätsel war offenbar, weshalb die beiden Reden des tschechischen Hauptmannes, die Rattenerzählung und die Aufforderung, dem Oberleutnant A. das Geld zurückzugeben, so aufregend auf ihn gewirkt und so heftige pathologische Reaktionen hervorgerufen hatten. Es war anzunehmen, daß hier „Komplexempfindlichkeit“ vorlag, daß durch jene Reden hyperästhetische Stellen seines Unbewußten unsanft berührt worden waren. So war es auch; er befand sich, wie jedesmal im militärischen Verhältnisse, in einer unbewußten Identifizierung mit dem Vater, der selbst durch mehrere Jahre gedient hatte und vieles aus seiner Soldatenzeit zu erzählen pflegte. Nun gestattete der Zufall, der bei der Symptombildung mithelfen darf wie der Wortlaut beim Witz, daß eines der kleinen Abenteuer des Vaters ein wichtiges Element mit der Aufforderung des Hauptmannes gemeinsam hatte. Der Vater hatte einmal eine kleine Summe Geldes, über die er als Unteroffizier verfügen sollte, im Kartenspiele verloren (Spiel**ratte) und wäre in arge Bedrängnis gekommen, wenn ein Kamerad sie ihm nicht vorgestreckt hätte. Nachdem er das Militär verlassen und wohlhabend geworden war, suchte er den hilfreichen Kameraden auf, um ihm das Geld zurückzugeben, fand ihn aber nicht mehr. Unser Patient war nicht sicher, ob ihm die Rückerstattung überhaupt je gelang; die Erinnerung an diese Jugendsünde des Vaters war ihm peinlich, da doch sein Unbewußtes von feindseligen Ausstellungen am Charakter des Vaters erfüllt war. Die Worte des Hauptmannes: Du mußt dem Oberleutnant A. die Kronen 3.80 zurückgeben, klangen ihm wie eine Anspielung an jene uneingelöste Schuld des Vaters.

Die Mitteilung aber, daß das Postfräulein in Z. die Nachnahme mit einigen für ihn schmeichelhaften Worten selbst erlegt hatte,4 verstärkte die Identifizierung mit dem Vater auf einem andern Gebiete. Er trug jetzt nach, daß in dem kleinen Orte, wo sich auch das Postamt befand, die hübsche Wirtstochter dem schmucken jungen Offizier viel Entgegenkommen gezeigt hatte, so daß er sich vornehmen konnte, nach Schluß der Manöver dorthin zurückzukommen, um seine Chancen bei dem Mädchen zu verfolgen. Nun war ihr in dem Postfräulein eine Konkurrentin erstanden; er konnte, wie der Vater in seinem Eheroman, schwanken, welcher von beiden er nach dem Verlassen des Militärdienstes seine Gunst zuwenden sollte. Wir merken mit einem Male, daß seine sonderbare Unschlüssigkeit, ob er nach Wien reisen oder an den Ort des Postamtes zurückkehren solle, seine beständigen Versuchungen, auf der Reise umzukehren (vgl. S. 47), nicht so sinnlos waren, wie sie uns zuerst erscheinen mußten. Für sein bewußtes Denken war die Anziehung des Ortes Z., an dem sich das Postamt befand, durch das Bedürfnis motiviert, dort mit Hilfe des Oberleutnants A. seinen Eid zu erfüllen. In Wirklichkeit war das im nämlichen Ort befindliche Postfräulein der Gegenstand seiner Sehnsucht und der Oberleutnant nur ein guter Ersatz für sie, da er am selben Ort gewohnt und selbst den militärischen Postdienst versehen hatte. Als er dann hörte, nicht der Oberleutnant A., sondern ein anderer Offizier B. habe an dem Tage bei der Post amtiert, zog er auch diesen in seine Kombination und konnte sein Schwanken zwischen den beiden ihm gnädig gesinnten Mädchen nun in den Delirien mit den beiden Offizieren wiederholen.5

Bei der Aufklärung der Wirkungen, welche von der Rattenerzählung des Hauptmannes ausgingen, müssen wir uns enger an den Ablauf der Analyse halten. Es ergab sich zunächst eine außerordentliche Fülle von assoziativem Material, ohne daß vorläufig die Situation der Zwangsbildung durchsichtiger wurde. Die Vorstellung der mit den Ratten vollzogenen Strafe hatte eine Anzahl von Trieben gereizt, eine Menge von Erinnerungen geweckt, und die Ratten hatten darum in dem kurzen Intervalle zwischen der Erzählung des Hauptmannes und seiner Mahnung, das Geld zurückzugeben, eine Reihe von symbolischen Bedeutungen erworben, zu welchen in der Folgezeit immer neue hinzutraten. Mein Bericht über all dies kann freilich nur sehr unvollständig ausfallen. Die Rattenstrafe rüttelte vor allem die Analerotik auf, die in seiner Kindheit eine große Rolle gespielt hatte und durch jahrelang fortgesetzten Wurmreiz unterhalten worden war. Die Ratten kamen so zur Bedeutung: Geld,6 welcher Zusammenhang sich durch den Einfall Raten zu Ratten anzeigte. Er hatte sich in seinen Zwangsdelirien eine förmliche Rattenwährung eingesetzt; z. B. als ich ihm auf Befragen den Preis einer Behandlungsstunde mitteilte, hieß es bei ihm, was ich ein halbes Jahr später erfuhr: „Soviel Gulden soviel Ratten.“ In diese Sprache wurde allmählich der ganze Komplex der Geldinteressen, die sich an die Erbschaft nach dem Vater knüpften, umgesetzt, d. h. alle dahin gehörigen Vorstellungen wurden über diese Wortbrücke Raten-Ratten ins Zwanghafte eingetragen und dem Unbewußten unterworfen. Diese Geldbedeutung der Ratten stützte sich überdies auf die Mahnung des Hauptmannes, den Betrag der Nachnahme zurückzugeben, mit Hilfe der Wortbrücke Spielratte, von der aus der Zugang zur Spielverfehlung des Vaters aufzufinden war.

Die Ratte war ihm aber auch als Träger gefährlicher Infektionen bekannt und konnte darum als Symbol für die beim Militär so berechtigte Angst vor syphilitischer Infektion verwendet werden, wohinter allerlei Zweifel an der Lebensführung des Vaters während seiner militärischen Dienstzeit versteckt waren. In anderem Sinne: Träger der syphilitischen Infektion war der Penis selbst, und so wurde die Ratte zum Geschlechtsglied, für welche Verwendung sie noch ein anderes Anrecht geltend machen konnte. Der Penis, besonders der des kleinen Kindes, kann ohne weiteres als Wurm beschrieben werden, und in der Erzählung des Hauptmannes wühlten die Ratten im After wie in seinen Kinderjahren die großen Spulwürmer. So ruhte die Penisbedeutung der Ratten wiederum auf der Analerotik. Die Ratte ist ohnedies ein schmutziges Tier, das sich von Exkrementen nährt und in Kanälen lebt, die den Abfall führen.7 Es ist ziemlich überflüssig anzuführen, welcher Ausbreitung das Rattendelirium durch diese neue Bedeutung fähig wurde. „Soviel Ratten — soviel Gulden“ konnte z. B. als eine treffliche Charakteristik eines ihm sehr verhaßten weiblichen Gewerbes gelten. Hingegen ist es wohl nicht gleichgültig, daß die Einsetzung des Penis für die Ratte in der Erzählung des Hauptmannes eine Situation von Verkehr per anum ergab, die ihm in ihrer Beziehung auf Vater und Geliebte besonders widerlich erscheinen mußte. Trat diese Situation in der Zwangsandrohung wieder auf, welche sich nach der Mahnung des Hauptmannes bei ihm gestaltete, so erinnerte dies unverkennbar an gewisse bei den Südslawen gebräuchliche Flüche, deren Wortlaut man in der von F. S. Krauß herausgegebenen Anthropophyteia nachlesen kann. All dieses Material und noch anderes reihte sich übrigens mit dem Deckeinfall „heiraten“ in das Gefüge der Rattendiskussion ein.

Daß die Erzählung von der Rattenstrafe bei unserem Patienten alle vorzeitlich unterdrückten Regungen eigensüchtiger und sexueller Grausamkeit in Aufruhr brachte, wird ja durch seine eigene Schilderung und durch seine Mimik bei der Wiedererzählung bezeugt. Doch fiel trotz all dieses reichen Materials so lange kein Licht auf die Bedeutung seiner Zwangsidee, bis eines Tages die Rattenmamsell aus Ibsens Klein Eyolf auftauchte und die Folgerung unabweisbar machte, in vielen Ausgestaltungen seiner Zwangsdelirien bedeuteten die Ratten auch Kinder.8** Forschte man nach der Entstehung dieser neuen Bedeutung, so stieß man sofort auf die ältesten und bedeutsamsten Wurzeln. Bei einem Besuche am Grabe des Vaters hatte er einmal ein großes Tier, das er für eine Ratte hielt, am Grabhügel vorbeihuschen gesehen.9 Er nahm an, sie käme aus dem Grabe des Vaters selbst und hätte soeben ihre Mahlzeit von seinem Leichnam eingenommen. Von der Vorstellung der Ratte bleibt als unzertrennlich, daß sie mit scharfen Zähnen nagt und beißt;10 die Ratte ist aber nicht etwa ohne Strafe bissig, gefräßig und schmutzig, sondern sie wird von den Menschen, wie er oft mit Grausen gesehen hatte, grausam verfolgt und schonungslos erschlagen. Oft hatte er Mitleid mit solchen armen Ratten verspürt. Nun war er selbst ein so ekelhafter, schmutziger, kleiner Kerl gewesen, der in der Wut um sich beißen konnte und dafür fürchterlich gezüchtigt worden war (vgl. Seite 72). Er konnte wirklich sein ganz „natürlich Ebenbild“11 in der Ratte finden. Das Schicksal hatte ihm in der Erzählung des Hauptmannes sozusagen ein Komplexreizwort zugerufen, und er versäumte nicht, mit seiner Zwangsidee darauf zu reagieren.

Ratten waren also Kinder nach seinen frühesten und folgenschwersten Erfahrungen. Und nun brachte er eine Mitteilung, die er lange genug aus dem Zusammenhange ferngehalten hatte, die aber jetzt das Interesse, das er für Kinder haben mußte, voll aufklärte. Die Dame, die er durch so lange Jahre verehrte und zu heiraten sich doch nicht entschließen konnte, war infolge einer gynäkologischen Operation, der Entfernung beider Ovarien, zur Kinderlosigkeit verurteilt; es war dies sogar für ihn, der Kinder außerordentlich liebte, der Hauptgrund seines Schwankens.

Erst jetzt wurde es möglich, den unbegreiflichen Vorgang bei der Bildung seiner Zwangsidee zu verstehen; mit Zuhilfenahme der infantilen Sexualtheorien und der Symbolik, die man aus der Deutung von Träumen kennt, ließ sich alles sinnreich übersetzen. Als der Hauptmann auf der Nachmittagsrast, bei der er seinen Zwicker einbüßte, von der Rattenstrafe erzählte, packte ihn zuerst nur der grausam lüsterne Charakter der vorgestellten Situation. Aber sofort stellte sich die Verbindung mit jener Kinderszene her, in der er selbst gebissen hatte; der Hauptmann, der für solche Strafen eintreten konnte, rückte ihm an die Stelle des Vaters und zog einen Teil der wiederkehrenden Erbitterung auf sich, die sich damals gegen den grausamen Vater empört hatte. Die flüchtig auftauchende Idee, es könnte einer ihm lieben Person etwas dergleichen geschehen, wäre zu übersetzen durch die Wunschregung: „Dir sollte man so etwas tun“, die sich gegen den Erzähler, dahinter aber schon gegen den Vater richtete. Als ihm dann 1½ Tage später12 der Hauptmann das mit Nachnahme angelangte Paket überreicht und ihn mahnt, die 3 Kronen 80 Heller dem Oberleutnant A. zurückzugeben, weiß er bereits, daß der „grausame Vorgesetzte“ sich irrt und daß er niemand anderem als dem Postfräulein verpflichtet ist. Es liegt ihm also nahe, eine höhnische Antwort zu bilden wie: „Ja freilich, was fällt dir denn ein?“ oder: „Ja, Schnecken“, oder: „Ja, einen Schmarren13 werd’ ich ihm das Geld zurückgeben“, Antworten, die er nicht hätte aussprechen müssen. Aber aus dem unterdes aufgerührten Vaterkomplex und der Erinnerung an jene Infantilszene gestaltet sich ihm die Antwort: „Ja, ich werde dem A. das Geld zurückgeben, wenn mein Vater und meine Geliebte Kinder bekommen“, oder: „So wahr mein Vater und die Dame Kinder bekommen können, so gewiß werde ich ihm das Geld zurückgeben.“ Also eine höhnende Beteuerung an eine unerfüllbare absurde Bedingung geknüpft.14

Aber nun war das Verbrechen begangen, die beiden ihm teuersten Personen, Vater und Geliebte, von ihm geschmäht; das forderte Strafe, und die Bestrafung bestand in dem Auferlegen eines unmöglich zu erfüllenden Eides, der den Wortlaut des Gehorsams gegen die unberechtigte Mahnung des Vorgesetzten einhielt: „Jetzt mußt du wirklich dem A. das Geld zurückgeben.“ Im krampfhaften Gehorsam verdrängte er sein besseres Wissen, daß der Hauptmann seine Mahnung auf eine irrige Voraussetzung gründe: „Ja, du mußt dem A. das Geld zurückgeben, wie der Stellvertreter des Vaters verlangt hat. Der Vater kann nicht irren.“ Auch die Majestät kann nicht irren, und wenn sie einen Untertan mit einem ihm nicht gebührenden Titel angesprochen hat, so trägt er fortan diesen Titel.

Von diesem Vorgange gelangt in sein Bewußtsein nur undeutliche Kunde, aber die Auflehnung gegen das Gebot des Hauptmannes und der Umschlag ins Gegenteil sind auch im Bewußtsein vertreten. (Zuerst: Nicht das Geld zurückgeben, sonst geschieht das... [die Rattenstrafe], und dann die Verwandlung in den gegenteiligen Eidauftrag als Strafe für die Auflehnung.)

Man vergegenwärtige sich noch die Konstellation, in welche die Bildung der großen Zwangsidee fiel. Er war durch lange Abstinenz sowie durch das freundliche Entgegenkommen, auf das der junge Offizier bei den Frauen rechnen darf, libidinös geworden, war überdies in einer gewissen Entfremdung von seiner Dame zur Waffenübung eingerückt. Diese Libidosteigerung machte ihn geneigt, den uralten Kampf gegen die Autorität des Vaters wieder aufzunehmen, und er getraute sich an sexuelle Befriedigung bei anderen Frauen zu denken. Die Zweifel am Andenken des Vaters und die Bedenken gegen den Wert der Geliebten hatten sich gesteigert; in solcher Verfassung ließ er sich zur Schmähung gegen beide hinreißen, und dann bestrafte er sich dafür. Er wiederholte damit ein altes Vorbild. Wenn er dann nach Schluß der Waffenübung so lange schwankt, ob er nach Wien reisen oder bleiben und den Eid erfüllen solle, so stellt er damit in einem die beiden Konflikte dar, die ihn von jeher bewegt hatten, ob er dem Vater gehorsam und ob er der Geliebten treu bleiben solle.15

Noch ein Wort über die Deutung des Inhaltes der Sanktion: „sonst wird an den beiden Personen die Rattenstrafe vollzogen“. Sie ruht auf der Geltung zweier infantiler Sexualtheorien, über die ich an anderer Stelle Auskunft gegeben habe.16 Die erste dieser Theorien geht dahin, daß die Kinder aus dem After herauskommen; die zweite schließt konsequent mit der Möglichkeit an, daß Männer ebensowohl Kinder kriegen können wie Frauen. Nach den technischen Regeln der Traumdeutung kann das Aus-dem-Darm-Herauskommen durch seinen Gegensatz: ein In-den-Darm-Hineinkriechen (wie bei der Rattenstrafe) dargestellt werden und umgekehrt.

Einfachere Lösungen für so schwere Zwangsideen oder Lösungen mit anderen Mitteln zu erwarten, ist man wohl nicht berechtigt. Mit der Lösung, die sich uns ergab, war das Rattendelirium beseitigt.


  1. Vgl. Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905).
  2. Die Alternative war unvollständig. An den häufigsten Ausgang so vorreitiger Leidenschaftlichkeit, an den in Neurose, hatte der Vater nicht gedacht.
  3. Man hat es in den Psychoanalysen häufig mit solchen Begebenheiten aus den ersten Kinderjahren zu tun, in denen die infantile Sexualtätigkeit zu gipfeln scheint und häufig durch einen Unfall oder eine Bestrafung ein katastrophales Ende findet. Sie zeigen sich schattenhaft in Träumen an, werden oft so deutlich, daß man sie greifbar zu besitzen vermeint, aber sie entziehen sich doch der endgültigen Klarstellung, und wenn man nicht mit besonderer Vorsicht und mit Geschick verfährt, muß man es unentschieden lassen, ob eine solche Szene wirklich vorgefallen ist. Auf die richtige Spur der Deutung wird man durch die Erkenntnis geführt, daß von solchen Szenen mehr als eine Version, oft sehr verschiedenartige, in der unbewußten Phantasie des Patienten aufzuspüren sind. Wenn man in der Beurteilung der Realität nicht irregehen will, muß man sich vor allem daran erinnern, daß die „Kindheitserinnerungen“ der Menschen erst in einem späteren Alter (meist zur Zeit der Pubertät) festgestellt und dabei einem komplizierten Umarbeitungsprozeß unterzogen werden, welcher der Sagenbildung eines Volkes über seine Urgeschichte durchaus analog ist. Es läßt sich deutlich erkennen, daß der heranwachsende Mensch in diesen Phantasiebildungen über seine erste Kindheit das Andenken an seine autoerotische Betätigung zu verwischen sucht, indem er seine Erinnerungsspuren auf die Stufe der Objektliebe hebt, also wie ein richtiger Geschichtsschreiber die Vergangenheit im Lichte der Gegenwart erblicken will. Daher die Überfülle von Verführungen und Attentaten in diesen Phantasien, wo die Wirklichkeit sich auf autoerotische Betätigung und auf Anregung dazu durch Zärtlichkeiten und Strafen beschränkt. Ferner wird man gewahr, daß der über seine Kindheit Phantasierende seine Erinnerungen sexualisiert, d. h., daß er banale Erlebnisse mit seiner Sexualbetätigung in Beziehung bringt, sein Sexualinteresse über sie ausdehnt, wobei er wahrscheinlich den Spuren des wirklich vorhandenen Zusammenhanges nachfährt. Daß es nicht die Absicht dieser Bemerkungen ist, die von mir behauptete Bedeutung der infantilen Sexualität nachträglich durch die Reduktion auf das Sexualinteresse der Pubertät herabzusetzen, wird mir jeder glauben, der die von mir mitgeteilte ‚Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben‘ im Gedächtnis hat. Ich beabsichtige nur, technische Anweisungen zur Auflösung jener Phantasiebildungen zu geben, welche dazu bestimmt sind, das Bild jener infantilen Sexualbetätigung zu verfälschen. Nur selten ist man wie bei unserem Patienten in der glücklichen Lage, die tatsächliche Grundlage dieser Dichtungen über die Urzeit durch das unerschütterliche Zeugnis eines Erwachsenen festzustellen. Immerhin läßt die Aussage der Mutter den Weg für mehrfache Möglichkeiten offen. Daß sie die sexuelle Natur des Vergehens, für welches das Kind gestraft wurde, nicht proklamierte, mag seinen Grund in ihrer eigenen Zensur haben, welche bei allen Eltern gerade dieses Element aus der Vergangenheit ihrer Kinder auszuschalten bemüht ist. Es ist aber ebenso möglich, daß das Kind damals wegen einer banalen Unart nicht sexueller Natur von der Kinderfrau oder der Mutter selbst zurechtgewiesen und dann wegen seiner gewalttätigen Reaktion vom Vater gezüchtigt wurde. Die Kinderfrau oder eine andere dienende Person wird in solchen Phantasien regelmäßig durch die vornehmere der Mutter ersetzt. Wenn man sich in die Deutung der diesbezüglichen Träume des Patienten tiefer einließ, fand man die deutlichsten Hinweise auf eine episch zu nennende Dichtung, in welcher sexuelle Gelüste gegen Mutter und Schwester und der frühzeitige Tod dieser Schwester mit jener Züchtigung des kleinen Helden durch den Vater zusammengebracht wurden. Es gelang nicht, dieses Gewebe von Phantasieumhüllungen Faden für Faden abzuspinnen; gerade der therapeutische Erfolg war hier das Hindernis. Der Patient war hergestellt, und das Leben forderte von ihm, mehrfache, ohnedies zu lange aufgeschobene Aufgaben in Angriff zu nehmen, die mit der Fortsetzung der Kur nicht verträglich waren. Man mache mir also aus dieser Lücke in der Analyse keinen Vorwurf. Die wissenschaftliche Erforschung durch die Psychoanalyse ist ja heuer nur ein Nebenerfolg der therapeutischen Bemühung, und darum ist die Ausbeute oft gerade bei unglücklich behandelten Fällen am größten. Der Inhalt des kindlichen Sexuallebens besteht in der autoerotischen Betätigung der vorherrschenden Sexualkomponenten, in Spuren von Objektliebe und in der Bildung jenes Komplexes, den man den Kernkomplex der Neurosen nennen könnte, der die ersten zärtlichen wie feindseligen Regungen gegen Eltern und Geschwister umfaßt, nachdem die Wißbegierde des Kleinen, meist durch die Ankunft eines neuen Geschwisterchens, geweckt worden ist. Aus der Uniformität dieses Inhaltes und aus der Konstanz der späteren modifizierenden Einwirkungen erklärt es sich leicht, daß im allgemeinen stets die nämlichen Phantasien über die Kindheit gebildet werden, gleichgültig, wieviel oder wie wenig Beiträge das wirkliche Erleben dazu gestellt hat. Es entspricht durchaus dem infantilen Kernkomplex, daß der Vater zur Rolle des sexuellen Gegners und des Störers der autoerotischen Sexualbetätigung gelangt, und die Wirklichkeit hat daran zumeist einen guten Anteil.
  4. Vergessen wir nicht, daß er dies erfahren hatte, ehe der Hauptmann die (unberechtigte) Aufforderung der Rückzahlung an Oberleutnant A. an ihn richtete. Es ist dies der für das Verständnis unentbehrliche Punkt, durch dessen Unterdrückung er sich die heilloseste Verwirrung bereitete und mir eine Zeitlang den Einblick in den Sinn des Ganzen verwehrte.
  5. (Zusatz 1923:) Nachdem der Patient alles dazu getan hatte, die kleine Begebenheit von der Rückzahlung der Nachnahme für den Zwicker zu verwirren, ist es vielleicht auch meiner Darstellung nicht gelungen, sie ohne Rückstand durchsichtig zu machen. Ich reproduziere darum hier eine kleine Karte, durch die Mr. und Mrs. Strachey die Situation zu Ende der Waffenübung verdeutlichen wollten. Meine Übersetzer haben mit Recht bemerkt, daß das Benehmen des Patienten noch immer unverständlich ist, solange man nicht ausdrücklich anführt, daß Oblt. A. früher am Ort des Postamtes Z. gewohnt und dort die militärische Post versehen hatte, daß er aber in den letzten Tagen der Übung dieses Amt an Oblt. B. abgegeben und nach A. versetzt worden war. Der „grausame“ Hauptmann wußte noch nichts von dieser Änderung, daher sein Irrtum, die Nachnahme sei an Oblt. A. zurückzuzahlen.
  6. Vgl. Charakter und Analerotik. (1908)
  7. Wer diese Sprünge der neurotischen Phantasie kopfschüttelnd ablehnen will, der sei an ähnliche Capriccios erinnert, in denen sich die Phantasie der Künstler gelegentlich ergeht, z. B. an die „Diableries erotiques“ von Le Poitevin.
  8. Ibsens Rattenmamsell ist ja sicherlich von dem sagenhaften Rattenfänger von Hameln abgeleitet, der zuerst die Ratten ins Wasser lockt und dann mit denselben Mitteln die Kinder der Stadt auf Nimmerwiederkehr verführt. Auch Klein Eyolf stürzt sich unter dem Banne der Rattenmamsell ins Wasser. Die Ratte erscheint in der Sage überhaupt nicht so sehr als ekelhaftes, sondern als unheimliches, man möchte sagen chthonischcs Tier und wird zur Darstellung der Seelen Verstorbener verwendet.
  9. Eines der auf dem Wiener Zentralfriedhofe so häufigen Erdwiesel.
  10. „Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten,
    Bedarf ich eines Rattenzahns
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    Noch einen Biß, so ist’s geschehn“ — sagt Mephisto.
  11. Auerbadu Keller.
  12. Nicht am nächsten Abend, wie er zuerst erzählte. Es ist ganz unmöglich, daß der bestellte Zwicker noch am selben Tage angelangt wäre. Er verkürzt diese Zwischenzeit in der Erinnerung, weil in ihr die entscheidenden Gedankenverbindungen sich herstellten und weil er die in sie fallende Begegnung mit dem Offizier verdrängt, der ihm vom freundlichen Benehmen des Postfräuleins erzählte.
  13. Wienerisch.
  14. Die Absurdität bedeutet also auch in der Sprache des Zwangsdenkens Hohn so wie im Traume. Siehe „Traumdeutung“ (1900 a, Kapitel VI (G)).
  15. Es ist vielleicht interessant hervorzuheben, daß der Gehorsam gegen den Vater wiederum mit der Abwendung von der Dame zusammenfällt. Wenn er bleibt und dem A. das Geld zurückgibt, so hat er die Buße gegen den Vater erfüllt und gleichzeitig seine Dame gegen die Anziehung eines anderen Magneten verlassen. Der Sieg in diesem Konflikte verbleibt der Dame, allerdings mit Unterstützung der normalen Besinnung.
  16. Vgl. „Über infantile Sexualtheorien“ (1908).