Nachahmung - Nachahmung fremder Werke
Alles, was hier über die Nachahmung der Natur gesagt worden, kann auch auf die Nachahmung fremder Werke der Kunst angewendet werden. Wir wollen deswegen die Hauptsachen nur kurz berühren.
Die allgemeine Nachahmung großer Meister besteht darin, dass man sich ihre Maximen, ihre Grundsätze, ihre Art zu verfahren, zueigne, insofern man einerlei Absichten mit ihnen hat. Bei ihnen kann man die Kunst studieren, so wie sie dieselbe in der Natur studiert haben. Aber was bei ihnen bloß persönlich ist, was bloß auf ihre Zeit und auf den Ort passt, da sie sich befunden, dient zu anderen Zeiten und an anderen Orten nicht. Wer ein Heldengedicht schreiben will, kann den Homer und Oßian zum Muster nehmen, aber nur in dem, was zur allgemeinen Absicht eines solchen Werks dient; die Form und unzählig viel besonderes ist nur zufällig und geht ihn nichts an. Der freie, edle Nachahmer erwärmt sein eigenes Genie an einem fremden so lange, bis es selbst angeflammt, durch eigene Wärme fortbrennt, da der ängstliche Nachahmer, ohne eigene Kraft sich ins Feuer zu setzen oder darin zu unterhalten, nur so lange warm bleibt als das fremde Feuer auf ihn wirkt. Darum können Künstler von Genie, wenn sie auch wollten, nicht lange bei der knechtischen Nachahmung bleiben; sie werden durch ihre eigenen Kräfte in der ihnen eigenen Bahn fortgerissen; aber ohne Genie kann man nicht anders als knechtisch nachahmen; weil der Mangel eigener Kraft alles Fortgehen unmöglich macht, so bald man sein Original aus dem Gesichte verliert.
Dadurch wird sehr begreiflich, dass die freie Nachahmung vortrefliche, die knechtische nur schlechte Werke hervorbringt. Die schlechtesten aber sind notwendig die, welche aus kindischer Nachäffung entstehen, da Menschen ohne alles eigene Gefühl fremde Werke zum Spiel nachahmen, deren Absicht sie einzusehen und deren Geist und Kraft sie zu fühlen nicht im Stande sind. So wurden in den Schulen der späteren griechischen Rhetoren, Reden über Staatsangelegenheiten gehalten als kein Staat mehr vorhanden war. In unseren Zeiten sind alle Künste mit solchen Nachäffungen überhäuft. Man macht Gemälde von griechischen Helden und griechischen Religionsgebräuchen, die gerade so viel Realität haben als die Festungen, die Kinder im Sand aufführen, um sie zum Spiel zu verteidigen und anzugreifen. Wir haben eine Menge horazischer, pindarischer, anakreontischer Oden und Dithyramben, die eben so entstanden sind, wie jene kindische Festungen. Solche Werke sind bloße Larven, die etwas von der Form der Originalwerke haben, ohne Spur des Geistes der diese belebt.
Es ist nicht unangenehm auch ganz besondere und etwas umständlichere Nachahmungen fremder Werke zu sehen, wenn sie von Männern die eigenes Genie haben, ausgeführt werden. Die Hauptsachen sind dann in dem Original und in der Nachahmung dieselbigen; aber das eigene Gepräg des Genies zeigt sich dann in den besonderen Umständen, in den kleineren Verzierungen und in mancherlei Originalwendungen, die dem Nachahmer eigen sind und die den Gegenstand, den wir im Original auf eine gewisse Weise gesehen haben, uns auf eine andere, nicht weniger interessante Weise sehen lassen. So sind die Nachah mungen einiger Komödien des Terenz, die Moliere nach seiner Art behandelt hat. Die Charaktere sind im Grund dieselben, die wir bei dem Römer antreffen, aber sie sind durch das Besondere und Originale der französischen Sitten und Lebensart gleichsam anders schattiert. Dadurch erkennen wir, wie Menschen von einerlei Genie und Charakter nach Verschiedenheit der Zeiten und Oerter sich in verschiedenen Gestalten zeigen. So sind auch viele Fabeln, Erzählungen und Lieder, die unser Hagedorn nach französischen Originalen, auf die ihm eigene Art behandelt und denen er das Gepräg seines eigenen Genies eingedrückt hat. Wie man mit Vergnügen die vielerlei Veränderungen bemerkt, die das verschiedene Klima und der veränderte Boden den verschiedenen Weinen gibt, die im Grunde aus derselbigen Pflanze entsprungen sind; so ist es auch angenehm die veränderten Wirkungen des Genies an Werken der Kunst von einerlei Stoff zu sehen.
Bei den Alten war es nicht selten, dass auch gute Künstler die Werke der größten Meister nachahmten. Man sieht noch jetzt auf geschnittenen Steinen Nachahmungen größerer Werke der Bildhauerei, die sehr hochzuschätzen sind. Dass die neueren Dichter die alten so wohl in Formen ganzer Gedichte als in einzelnen Teilen nachahmen, ist also auch nicht zu tadeln: nur muss man eben nicht das zur unveränderlichen Regel machen wollen, was die alten gut gefunden haben. Wir können gute dramatische Stücke, gute Oden, gute Elegien haben, die in der Form sich sehr weit von den alten Mustern entfernen. Nur das, was unmittelbar aus dem Wesen einer Gattung folgt, muss unveränderlich beibehalten werden. [Mit diesem Art. verbinde man den Art. Natur.]