Niedrig

Niedrig. (Schöne Künste) Wenn man dieses Wort bei Gegenständen des Geschmacks braucht, so versteht man darunter etwas, das in der Denkungsart und in den Sitten und überhaupt in dem Geschmack des Pöbels ist, nicht insofern es einfach und ohne Kunst ist, sondern insofern es Menschen von feinerer Lebensart beleidiget. Der Geschmack und die inneren Sinne gelangen, so wie die äußern nur durch Übung und Überlegung zu der Fertigkeit in jeder Sache auch durch kleinere, Ungeübten unmerkliche Dinge, gerührt zu werden. Wer diese Fertigkeit nicht erlangt hat, sieht und empfindet nur das gröbste, was auch dem Unachtsamsten in die Augen fällt; darum können Sachen, die im Ganzen oder überhaupt betrachtet, das sind, was sie in ihrer Art sein sollen, ihnen gefallen, wenn gleich in kleineren und feineren Teilen viel Unrichtiges, Unschickliches oder Verkehrtes darin ist. Der Pöbel staunt über Pracht, wo er sie sieht, wenn gleich weder Geschmack noch Schicklichkeit dabei beobachtet worden. So begnügt sich ein Mensch von niedrigem Stande, der nie an Reinlichkeit gewöhnt worden, an einer Speise, die seinen Hunger stillt und übersieht das Unreinliche darin, wodurch sie Personen von Erziehung ekelhaft sein würde.

Daher kommt es, dass Leute von niedrigem Stande, die keine durch feineres Nachdenken entstandene Be dürfnisse fühlen, leicht befriediget werden, wenn gleich in den hierzu nötigen Dingen sich gar viel findet, das geübtern Sinne zuwieder ist: und eben daher kommt es auch, dass solche Menschen keinen Gefallen an den Sachen haben, die für Personen von feinem Geschmack den größten Reiz haben. Feinen Scherz fühlen sie nicht und auf einem Gesichte, das nur durch feinere Züge die Empfindungen und den Charakter verrät, können sie gar nichts lesen. Erst denn, wenn Zorn oder Freude das ganze Gesicht verstellt, werden ihnen diese Leidenschaften merklich.

 Hieraus wird sich der Charakter des Niedrigen in Gegenständen des Geschmacks leicht bestimmen lassen. Man muss Stufenweise von dem Edeln und Feinen, erst auf das Gemeine und denn von diesem auf das Niedrige herabsteigen. Dieses tritt zwar nicht aus der Art; es kann das, was es in der Art sein soll, wirklich sein, ist traurig, freudig, zärtlich oder lustig; aber es ist es auf eine übertriebene, grobe Art, mit Beimischung solcher Umstände, die den feinern Geschmack beleidigen. Wolanständigkeit, Schicklichkeit, gute Verhältnisse und was zum Feinen der Form gehört, sind Sachen, worauf der Pöbel nicht sieht; darum finden sie sich auch bei dem Niedrigen nicht. Scherze sind Zoten; das Lustige wild und ausgelassen, das Sittliche überhaupt unüberlegt und grob, das Leidenschaftliche übertrieben und mit viel Wiedri gem verbunden.

 In den Werken des Geschmacks ist das Niedrige überhaupt sorgfältig zu vermeiden; doch ereignen sich auch Gelegenheiten, wo es nicht ganz zu verwerfen ist. Man kann hierüber dem Künstler keine sicherere Regel geben als dass man ihn vermahne bei jedem Werk seines Zwecks eingedenk zu sein. Bei ernsthaften Gelegenheiten, wo es darum zu tun ist, Gesinnungen und Entschließungen einzuflößen; das Gefühl des Guten und Schönen rege zu machen, auch überall, wo der Künstler die Absicht hat, seine eigene Denkungsart zu entwickeln, da muss alles Niedrige schlechterdings vermieden werden. Ein pöbelhafter Ausdruck oder ein niedriges Bild, kann den schönsten Gedanken verderben. Überhaupt muss der Künstler beständig daran denken, dass er für Personen von Geschmack und von etwas feiner Lebensart arbeitet. So gar dass Gemeine, muss er überall vermeiden, weil es die Aufmerksamkeit derer, für die er arbeitet, nicht reizt.

 Auch nicht einmal da, wo man uns unsere Torheiten vorhält, um uns davon zu reinigen, in der Komödie und den Werken von scherzhaftem Inhalt, wobei man ernsthafte Absichten hat, ist das Niedrige zu brauchen. Kein Mensch von einiger Erziehung wird das widrig Lächerliche auf sich deuten; er wird vielmehr glauben, dass man ihn bloß damit belustigen wolle.1

 Darum wollen wir doch das niedrig komische, wenn es nur wirklich aus der Natur genommen und nicht durch bloßes Possenspiel übertrieben ist, nicht ganz verwerfen. Das Lachen insofern es bloß zur Belustigung dient, hat auch seine Zeit und dieses Lachen wird gar oft, auch bei Personen von feinem Geschmack, wegen des ungemein abstechenden Kontrasts gegen das, dessen sie gewöhnt sind, durch das Niedrigkomische, wenn es nur wahrhaftig natürlich ist, sicher erreicht. Ich habe einen vornehmen Mann, von äußerst feinem Geschmack und sehr edlem Charakter gekannt, der sich bisweilen das Vergnügen machte, mit einigen Freunden in Londen in einem Hause zu speisen, wo viele Schornsteinfeger ihren täglichen Tisch hatten, um sich an den Sitten und den Manieren dieser Leute zu belustigen. Und es ist so ungewöhnlich nicht, dass die feinsten und witzigsten Köpfe bisweilen an dem niedrig komischen der Schaubühne großes Wohlgefallen haben und recht herzlich mitlachen. Nur so gar abgeschmackt und völlig unnatürlich, wie einige Szenen in Molieres bürgerlichen Edelmann oder im eingebildeten Kranken, muss es nicht sein; weil kaum noch der Pöbel darüber lacht. Aber solche Szenen, die bei ihrer Niedrigkeit Wahrheit haben, wie viele Gemälde des Teinies und Ostade und wobei auch das, was dem Pöbel selbst ekelhaft ist, vermieden wird, sind als getreue Schilderungen der Natur zur Abwechslung und zum Zeitvertreib angenehm.

 

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1 S. Lächerlich. S. 647 .

 


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