a) Religionsphilosophie und Freiheitslehre,
Theosophie


5. Religionsphilosophie und »Freiheits«lehre (1804-12).

Mit Schellings pantheistischem Identitätssystem war, genau genommen, Religion unvereinbar. Trotzdem will Schelling in seiner Philosophie und Religion betitelten Schrift (1804) beide zusammenführen, was ihm freilich nur durch eine neue Umbildung seines eben erst festgestellten »Systems« möglich ist. Wie ist die religiöse Grundtatsache des Unvollkommenen und Bösen zu erklären? Nur durch einen »Abfall « von Gott oder dem Absoluten, dessen Möglichkeit in dem Begriff der Freiheit liegt. So entsteht in der Endlichkeit, der Natur, dem äußeren Kausalzusammenhang ein »Gegenbild« des Absoluten, das seine äußerste Entfernung von Gott im Prinzip der Ichheit erreicht, die jedoch zugleich wieder das erste Moment der beginnenden Rückkehr zu jenem bildet. »Nur über den Abgrund geht der Weg zum Himmel«, bei dem Einzelnen wie bei der Menschheit im ganzen. Die ganze Weltgeschichte zerfällt in zwei große Perioden: 1. eine zentrifugale, 2. eine zentripetale, - die »Ilias« und die »Odyssee« des Geistes. Denn der Mensch stand anfangs unter dem Einfluß höherer Naturen vollkommener da (goldenes Zeitalter), er ist durch eigene Schuld abgefallen und wird sich erst allmählich wieder zum Geisterreich hinaufläutern: ein uns bereits aus der Geschichte des Neuplatonismus und der christlichen Mystik bekannter Gedanke. Die wahre Religion kann übrigens nur esoterisch, als Mysterium gedacht werden.

In seiner Schrift von 1809 (s. oben) verfolgt Schelling »das Wesen der menschlichen Freiheit« weiter. In ihr ist der theosophisch-mystische Einfluß (namentlich Böhmes) noch deutlicher zu spüren. Die Freiheit an sich bedeutet = in Gott sein. Die menschliche Freiheit aber, das Böse zu wählen, ist begründet in demjenigen in Gott, was nicht er selbst, sondern nur dunkles, verstand- und bewußtloses Wollen, also »die Natur in Gott« ist, die sich dann in dem Eigenwillen der Kreatur im Gegensatz zum göttlichen Universalwillen zu erkennen gibt. Die wahre Einleitung in die Naturphilosophie ist mithin - Theosophie! Übrigens ist trotzdem das Böse des Menschen eigene Tat und Schuld, aus seinem »intelligibelen Charakter«, d.h. seinem prädestinierten »Ur- und Grundwollen« hervorquellend. Aber daneben bleibt in ihm das gute Prinzip (des göttlichen Geistes), das er in sich handeln »lassen« kann. Religiosität = Gewissenhaftigkeit = Sittlichkeit heißt: Gebundenheit an den göttlichen Universalwillen. Von der »gegensatzlosen Einheit« des Ur- oder Ungrundes geht alles aus, und nach Überwindung aller Gegensätze kehrt alles zur gegensatzlosen Einheit in der absoluten Persönlichkeit oder Liebe Gottes zurück.

6. Theosophie (1812 ff.).

Weitere Ausführungen seines neuen Standpunktes bringen die Antwort an Eschenmayer und die Streitschrift gegen Jacobi, beide vom Jahre 1812. Gegen des letzteren »literarische Schandtat« richtete Schelling sein gröbstes Geschütz. Der philosophische Hauptgedanke der Schrift ist die »Evolution Gottes aus sich selbst« Gegenüber dem Jacobischen Vorwurf des Naturalismus und »absichtlich täuschenden Atheismus« sucht Schelling nachzuweisen, dass der Begriff eines persönlichen Gottes, den der Theismus fordere, nicht ohne eine Selbstentwicklung Gottes, diese aber nicht ohne jene Böhmesche »Natur in Gott« möglich sei. - Noch mystischer ist die 1811 verfaßte, aber erst aus dem Nachlaß veröffentlichte Schrift: Die Weltalter. Gemeint sind die »göttlichen« Weltalter, nämlich Gottes Offenbarung vor der Weltschöpfung, in dieser Welt und in der Zeit, die nach ihr kommen wird. Der allein veröffentlichte erste Band behandelt nur das »vorweltliche« Dasein Gottes in seinen verschiedenen »Potenzen« - Als eine »Beilage« zu den nicht veröffentlichten »Weltaltern« erschien 1815 die Festrede: Die Gottheiten von Samothrake. In der phönikischen Kabirenlehre sowie in den orphisch-dionysischen Geheimkulten der alten Griechen findet Schelling Anklänge an seine theosophischen Konstruktionen. Sehnsucht, Urdrang zum Sein war der erste Grund zur Schöpfung. Die Offenbarung der Natur Gottes geschieht in der Naturreligion oder Mythologie, die seiner Persönlichkeit in der geoffenbarten Religion. Die letzte und höchste Philosophie, nämlich die Religionsphilosophie, zerfällt demnach in 1. die Philosophie der Mythologie, 2. die Philosophie der Offenbarung.

Der absolute Weltgrund ist irrational. Deshalb kann eine Philosophie des Endlichen, wie der Rationalismus Hegels oder auch Schellings eigenes Identitätssystem, nur »negativ« sein. Demgegenüber will Schellings letzte oder »positive« Philosophie eben jene Offenbarung des Absoluten in der Entwicklung der Mythologie und der Offenbarung schildern. Sie ist so in ihrem ersten Teile eine Art Philosophie der heidnischen Mythologie, im zweiten eine an die Gnostiker (1, § 52) erinnernde Philosophie des Christentums. Beide Teile springen mit den historischen Tatsachen sehr willkürlich um; sie müssen den Zwecken spekulativer Konstruktionen dienen. Ein so gemäßigter Denker wie Zeller *) urteilt darüber: »eine wortreiche, verworrene, abstruse Scholastik, ein, unerquickliches Gemenge aus spekulativen, ihren Hauptbestandteilen nach seiner früheren Philosophie entnommenen Ideen, trüber Theosophie, willkürlich gedeuteten Bibelstellen und kirchlicher Dogmatik.«

 

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*) Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz. 2. Aufl., S. 561.


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