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Zufall

Zufall (Zufälligkeit). Zu den „erschlichenen Sätzen“, welche aus den „dem Subjekt eigenen Bedingungen“ hervorgehen, „von wo sie aufs Geratewohl auf die Objekte übertragen werden“, indem der Verstandesbegriff mit ihrer Hilfe auf einen durch Erfahrung gegebenen Fall angewendet werden kann, gehört der Satz: „Alles, was zufällig besteht, besteht irgend einmal auch nicht“, Mund. sens. § 29 (V 2, 129). „Dieser erschlichene Grundsatz entspringt aus der Armut des Verstandes, der meistens nur die Wortmerkmale der Zufälligkeit und Notwendigkeit erfaßt, selten die wirklichen. Ob also das Gegenteil einer Substanz möglich sei, wird man, da es sich durch a priori entnommene Merkmale schwerlich erfassen läßt, nicht anders erkennen, als wenn feststeht, daß die Substanz einmal nicht gewesen ist; und die Veränderungen sind in Wahrheit eher ein Beweis der Zufälligkeit, als die Zufälligkeit ein Beweis der Veränderlichkeit: so daß, wenn uns kein Fließendes und Vergängliches in der Welt begegnete, kaum irgendwelcher Begriff von Zufälligkeit in uns entstehen würde. Während also der direkte Satz: Was irgend einmal nicht gewesen ist, ist zufällig, vollkommen wahr ist, deutet seine Umkehrung nur die Bedingungen an, aus denen man allein entnehmen kann, ob etwas notwendig oder zufällig besteht. Wenn er daher als subjektives Gesetz (was er in Wahrheit ist) ausgesprochen wird, muß er so lauten: Wovon nicht feststeht, daß es irgend einmal nicht gewesen ist, von dessen Zufälligkeit gibt es nach dem gemeinen Verstand keine genügenden Merkmale; ein Satz, der sich schließlich stillschweigend in eine objektive Bedingung umwandelt, als wenn ohne diesen Anhang die Zufälligkeit überhaupt nicht stattfinden könnte. Daraus entsteht der verfälschte und irrige Grundsatz. Denn diese Welt ist, obgleich sie zufällig existiert, ewig, d. h. mit aller Zeit zugleich, so daß es eine falsche Behauptung ist, es sei eine Zeit gewesen, wo sie nicht bestanden habe“, ibid. (V 2, 129 f.).

Der Satz: „Nichts geschieht durch ein blindes Ohngefähr (in mundo non datur casus)“ ist ein „Naturgesetz a priori“ (s. Notwendigkeit), KrV tr. Anal. 2. B. 2. H. 3. Abs. Widerlegung des Idealismus (I 260—Rc 321). Das Zufällige bedeutet zweierlei: 1. als Kategorie der Modalität: „etwas, dessen Nichtsein sich denken läßt“. 2. als Kategorie der Relation: „etwas, das nur als Folge von einem anderen existieren kann“ (s. Kausalität), ibid. Allg. Anmerk. z. System d. Grundsätze (I 266 f.—Rc 328). Die Veränderung (s. d.) der Dinge beweist nur die „empirische Zufälligkeit“, d. h. „daß der neue Zustand für sich selbst ohne eine Ursache, die zur vorigen Zeit gehört, gar nicht hätte stattfinden können“. In der Reihe der Erscheinungen ist jedes Glied zufällig, durch andere Erscheinungen bedingt. Das absolut Notwendige (s. d.) ist kein Glied der Reihe selbst, sondern ist als intelligibler Grund der ganzen Erscheinungsreihe zu denken, der nicht selbst erscheint, und nicht erkennbar ist, KrV tr. Dial. 2. B. 2. H. 2. Abs. 4. Widerstreit (I 410 ff.—Rc 538 ff.). „Sowohl die unbedingte Möglichkeit als Unmöglichkeit des Nichtseins eines Dinges sind transzendente Vorstellungen, die sich gar nicht denken lassen, weil wir ohne Bedingung weder etwas zu setzen noch aufzuheben Grund haben. Der Satz also, daß ein Ding schlechthin zufällig existiere oder schlechthin notwendig sei, hat beiderseits niemals einen Grund. Der disjunktive Satz hat also kein Objekt. Eben als wenn ich sagte: Ein jedes Ding ist entweder x oder non x, und dieses x gar nicht kannte.“ Auf die Substanz (s. d.) scheinen die Begriffe der Notwendigkeit und Zufälligkeit nicht zu gehen. Der Satz: „Alles Zufällige hat eine Ursache“ sollte so lauten: „Alles, was nur bedingterweise existieren kann, ist eine Ursache“, Fortschr. d. Metaph. Beilage III Randbemerkungen (V 3, 161 f.).

„Nicht die Notwendigkeit, sondern die Zufälligkeit ist für die Vernunft unbegreiflich“, N 4036. „Sofern eine Begebenheit nicht unter einer besonderen Regel ihrer Ursache geschieht, so ist’s Zufall“, N 5372. „Der Zufall hat Gesetze, z. B. Schiffbrüche“, N 5371. „Zufällig ist, was nur bedingterweise (hypothetisch) möglich ist (dessen Nichtsein also an sich selbst möglich ist)“, N 6408. Alles, was geschieht, ist zufällig an sich selbst, und notwendig durch einen fremden Grund, N 4032. „Non datur casus: keine Begebenheit geschieht von selbst, sondern ist immer durch Naturursachen bestimmt“, N 5973; vgl. 5970. Vgl. Notwendig, Kosmologischer und Physikotheologischer Gottesbeweis, Freiheit, Gesetz, Zweck, Urteilskraft, Fortschritt, Kausalität.