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Unsterblichkeit

Unsterblichkeit. Mendelssohn meint in seinem „Phädon“, ein einfaches Wesen könne nicht verschwinden, weil es als einfach nicht vermindert und so allmählich in nichts verwandelt werden könne. Dagegen ist einzuwenden, daß, wenn auch die Seele kein Mannigfaltiges außer einander, also keine extensive Größe enthält, sie doch intensive Große, d. h. einen Grad der Realität haben muß, welcher „durch alle unendlich viele kleinere Grade abnehmen“ kann, so daß die Seele „obgleich nicht durch Zerteilung, doch durch allmähliche Nachlassung (remissio) ihrer Kräfte“, durch eine Art „Elangueszenz“ in nichts verwandelt werden könnte. Die absolute Beharrlichkeit der Seele (s. d.) bleibt also unerweislich, KrV tr. Dial. 2. B. 1. H. Widerlegung des Mendelssohnschen Beweises (I 359 f.—Rc 422 ff.). Spekulative Beweise für die Unsterblichkeit sind unmöglich, ebenso Gegenbeweise. Hingegen läßt sich vom Standpunkt der praktischen Vernunft eine Fortdauer der Existenz annehmen. Nach der Analogie mit der Natur lebender Wesen, in denen nichts Unzweckmäßiges anzutreffen ist, muß der Mensch, der „Endzweck“ von allem, ebenfalls zweckvoll eingerichtet sein. Vor allem geht das „moralische Gesetz in ihm“ über allen Nutzen in diesem Leben so hinaus, daß der Mensch sich innerlich dazu berufen fühlt, „sich durch sein Verhalten in dieser Welt, mit Verzichtung auf viele Vorteile, zum Bürger einer besseren, die er in der Idee hat, tauglich zu machen“, ibid. (I 367 f.—Rc 470 ff.). Gott und ein künftiges Leben sind Voraussetzungen, welche untrennbar sind von den sittlichen Geboten. Die Idee des höchsten Gutes (s. d.), welche die Möglichkeit der Hoffnung auf eine der Sittlichkeit angemessene Glückseligkeit (s. d.) einschließt, läßt uns ein künftiges Leben in einer „moralischen Welt“ (s. d.) voraussetzen, zu der wir uns durch die Vernunft als gehörig denken müssen und die als eine Folge unseres Verhaltens in der Sinnenwelt anzunehmen ist, KrV tr. Meth. 2. H. 2. Abs. (I 670 ff.—Rc 822 ff.). — „Die Meinung, daß das denkende Subjekt vor aller Gemeinschaft mit Körpern habe denken können, würde sich so ausdrücken: daß vor dem Anfange dieser Art der Sinnlichkeit, wodurch uns etwas im Raume erscheint, dieselben transzendentalen Gegenstände, welche im gegenwärtigen Zustande als Körper erscheinen, auf ganz andere Art haben angeschaut werden können. Die Meinung aber, daß die Seele, nach Aufhebung aller Gemeinschaft mit der körperlichen Welt, noch fortfahren könne zu denken, würde sich in dieser Form ankündigen: daß, wenn die Art der Sinnlichkeit, wodurch uns transzendentale und für jetzt ganz unbekannte Gegenstände als materielle Welt erscheinen, aufhören sollte, so sei darum noch nicht alle Anschauung derselben aufgehoben, und es sei ganz wohl möglich, daß eben dieselben unbekannten Gegenstände fortführen, obzwar freilich nicht mehr in der Qualität der Körper, von dem denkenden Subjekte erkannt zu werden.“ Dies ist aber ebensowenig spekulativ darzutun noch dogmatisch abzulehnen, da wir von der „absoluten und inneren Ursache“ äußerer, körperlicher Erscheinungen nichts wissen, KrV 1. A. tr. Dial. 2. B. 1. H. Betrachtung üb. die Summe ... (I 760 f.—Rc 485 ff.).

In dem Begriffe des höchsten Guts (s. d.) ist die völlige Angemessenheit der Gesinnungen zum moralischen Gesetze die oberste Bedingung des höchsten Guts, die also möglich sein muß. Sie ist „Heiligkeit“ (s. d.). Diese Vollkommenheit kann aber ein endliches Wesen nur in einem „ins Unendliche gehenden Progressus“ erreichen, welche „praktische Fortschreitung“, also eine notwendige Annahme der praktischen Vernunft ist. „Dieser unendliche Progressus ist aber nur unter Voraussetzung einer ins Unendliche fortdauernden Existenz und Persönlichkeit desselben vernünftigen Wesens ... möglich. Also ist das höchste Gut praktisch nur unter der Voraussetzung der Unsterblichkeit der Seele möglich“; diese ist also, „als unzertrennlich mit dem moralischen Gesetz verbunden“, ein „Postulat“ (s. d.) der reinen praktischen Vernunft. „Der Unendliche, dem die Zeitbedingung nichts ist, sieht in dieser für iins endlosen Reihe das Ganze der Angemessenheit mit dem moralischen Gesetze“, KpV 1. T. 2. B. 2. H. IV (II 156 f.). Wer sich bewußt ist, einen großen Teil seines Lebens zum Besseren fortgeschritten zu sein, darf hoffen, daß er auch jenseits dieses Lebens bei solchen Grundsätzen beharren werde, ibid. Anm. (II 157 f.). Die Unsterblichkeit ist das „Übersinnliche nach uns“. Sie ist „die Fortdauer unserer Existenz nach uns als Erdensöhne, mit den ins Unendliche fortgehenden moralischen und physischen Folgen, die dem moralischen Verhalten derselben angemessen sind“, Fortschr. d. Metaph. 2. Abt. 3. Stadium (V 3, 125). Es bleibt für die Metaphysik „unmöglich auszumachen, was und wieviel die Seele, und was oder wieviel der Körper selbst zu den Vorstellungen des inneren Sinnes beitrage, ja, ob nicht vielleicht, wenn eine dieser Substanzen (Seele und Körper) von der anderen geschieden wäre, die Seele schlechterdings alle Art Vorstellungen (Anschauen, Empfinden und Denken) einbüßen würde“. „Also ist es schlechterdings unmöglich zu wissen, ob nach dem Tode des Menschen, wo seine Materie zerstreut wird, die Seele, wenngleich ihre Substanz übrig bleibt, zu leben, d. i. zu denken und zu wollen fortfahren könne, d. i. ob sie ein Geist sei (denn unter diesem Worte versteht man ein Wesen, was auch ohne Körper sich seiner und seiner Vorstellungen bewußt sein kann), oder nicht.“ Die Unsterblichkeit der Seele ist theoretisch nicht demonstrierbar, „weil innere Erfahrung allein es ist, wodurch wir uns selbst kennen, alle Erfahrung aber nur im Leben, d. i. wenn Seele und Körper noch verbunden sind, angestellt werden kann, wir mithin, was wir nach dem Tode sein und vermögen werden, schlechterdings nicht wissen, der Seele abgesonderte Natur also gar nicht erkennen können“. „In moralischer Rücksicht aber haben wir hinreichenden Grund, ein Leben des Menschen nach dem Tode (dem Ende seines Erdenlebens), selbst für die Ewigkeit, folglich Unsterblichkeit der Seele anzunehmen, und diese Lehre ist ein praktischdogmatischer Überschritt zum Übersinnlichen, d. i. demjenigen, was bloße Idee ist und kein Gegenstand der Erfahrung sein kann, gleichwohl aber objektive, aber nur in praktischer Rücksicht gültige Realität hat. Die Fortstrebung zum höchsten Gut als Endzweck treibt zur Annehmung einer Dauer an, die jener ihrer Unendlichkeit proportioniert ist, und ergänzt unvermerkt den Mangel der theoretischen Beweise“, ibid. Auflösung der Aufgabe III (V 3, 141 f.); vgl. Rel.4. St. 1. T. 1. Abs. (IV 183).

Soviel der Mensch sich kennt, läßt ihm die Vernunft „keine andere Aussicht in die Ewigkeit übrig, als die ihm aus seinem bisher geführten Lebenswandel sein eigenes Gewissen am Ende des Lebens eröffnet“. Theoretisch, dogmatisch läßt sich über die Art unseres künftigen Zustandes nichts ausmachen, schon deshalb, weil wir unseren wahren sittlichen Wert nicht genau kennen. Wir können nur urteilen, daß, „welche Prinzipien unseres Lebenswandels wir bis zu dessen Ende in uns herrschend gefunden haben (sie seien die des Guten oder des Bösen), auch nach dem Tode fortfahren werden, es zu sein“. „Mithin müßten wir uns auch der jenem Verdienste oder dieser Schuld angemessenen Folgen, unter der Herrschaft des guten oder bösen Prinzips, für die Ewigkeit gewärtigen; in welcher Rücksicht es folglich weise ist, so zu handeln, als ob ein anderes Leben, und der moralische Zustand, mit dem wir das gegenwärtige endigen, samt seinen Folgen, beim Eintritt in dasselbe unabänderlich sei“, Ende a. D. (VI 159 ff.). Die Regel des praktischen Gebrauchs der Vernunft dieser Idee gemäß besagt: „wir müssen unsere Maxime so nehmen, als ob bei allen ins Unendliche gehenden Veränderungen vom Guten zum Besseren unser moralischer Zustand der Gesinnung nach (der homo noumenon, ‚dessen Wandel im Himmel ist‘) gar keinem Zeitwechsel unterworfen wäre“. Der Vernunft kann in praktischer Absicht auf den Endzweck nie Genüge getan werden. Es bleibt, da das Prinzip des Stillstandes und der Unveränderlichkeit der Welt und damit des Aufhörens der Zeit theoretisch unbefriedigend und für die Einbildungskraft empörend ist, nichts übrig, als sich „eine ins Unendliche (in der Zeit) fortgehende Veränderung, im beständigen Fortschreiten zum Endzweck zu denken, bei welchem die Gesinnung (welche nicht wie jenes, ein Phänomen, sondern etwas Übersinnliches, mithin nicht in der Zeit veränderlich ist) bleibt und beharrlich dieselbe ist“, ibid. (VI 165 f.). Geburt und Tod sind „Anfang und Ende eines Auftrittes, in dem nur die Moralität erheblich ist, und zwar auch nur so, daß man ihr nicht entgegenhandle“. Das Moralische ist „unauslöschlich“, weil es „zu dem inneren Wert der Person gehört“. Das Physische dieses Lebens ist von keiner Bedeutung, „weil es nur die zufällige Verbindung mit der Körperwelt betrifft, welche nicht unser natürlicher Zustand ist“, N 4239 ff.

Es gibt zwei Beweise der Unsterblichkeit: „1. aus dem Begriff vom Leben einer Intelligenz überhaupt und 2. aus der Analogie der Natur mit anderen lebenden Wesen überhaupt“. Der erste Beweis, der aus dem Satze „materia est iners“ folgert, daß die Trennung der Seele von der Materie die Seele nicht töten könne, ist unhaltbar (s. o.). Der zweite Beweis geht von dem Satz aus, daß jedes Organ einen Zweck hat. „Nun finden wir in dem Menschen Kräfte, Vermögen und Talente, die, wenn sie bloß für diese Welt geschaffen wären, wirklich zwecklos und überflüssig sind... Die moralischen Grundsätze des Willens gehen auch viel weiter, als wir hier brauchen“, Vorles. aus drei Semestern ed. Heinze K. Sachs. Ges. d. Wissensch. philol. histor. Kl. XIV 676 f.; vgl. Vorles. üb. Metaph. S. 233. Vgl. Idee, Postulate, Paralogismus, Seele, Gott, Himmel, Theologie.