Kritik der Urteilskraft
Urteilskraft, Kritik der. „Ob nun die Urteilskraft, die in der Ordnung unserer Erkenntnisvermögen zwischen dem Verstande und der Vernunft ein Mittelglied ausmacht, auch für sich Prinzipien a priori habe; ob diese konstitutiv oder bloß regulativ sind (und also kein eigenes Gebiet beweisen), und ob sie dem Gefühle der Lust und Unlust, als dem Mittelgliede zwischen dem Erkenntnisvermögen und Begehrungsvermögen (ebenso wie der Verstand dem ersteren, die Vernunft aber dem letzteren a priori Gesetze vorschreiben) a priori die Regel gebe: das ist es, womit sich die gegenwärtige Kritik der Urteilskraft beschäftigt.“ In einem System der reinen Philosophie aber würden die Prinzipien der Urteilskraft keinen besonderen Teil zwischen der theoretischen und praktischen Philosophie ausmachen dürfen, sondern jedem von beiden gelegentlich angeschlossen werden können, KU Vorr. (II 2 f.). Die Urteilskraft muß, als ein besonderes Erkenntnisvermögen, ein Prinzip a priori in sich haben. Die kritische Untersuchung des Prinzips der Urteilskraft in den ästhetischen Beurteilungen ist „das wichtigste Stück einer Kritik dieses Vermögens“. „Denn ob sie gleich für sich allein zum Erkenntnis der Dinge gar nichts beitragen, so gehören sie doch dem Erkenntnisvermögen allein an und beweisen eine unmittelbare Beziehung dieses Vermögens auf das Gefühl der Lust oder Unlust nach irgendeinem Prinzip a priori, ohne es mit dem, was Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens sein kann, zu vermengen, weil dieses seine Prinzipien a priori in Begriffen der Vernunft hat.“ Dazu kommt dann die Kritik der „logischen Beurteilung“ der Natur, ibid. (II 3 f.). Es gibt Prinzipien, „die für sich weder zum theoretischen noch praktischen Gebrauche tauglich sind“. Das sind die Prinzipien der Urteilskraft. Diese hat ein Prinzip a priori und bewirkt, durch das Gefühl (s. d.), einen „Übergang vom reinen Erkenntnisvermögen, d. i. vom Gebiete der Naturbegriffe, zum Gebiete des Freiheitsbegriffs“, sowie, „im logischen Gebrauche“, den „Übergang vom Verstande zur Vernunft“, KU Einl. III (II 15). — Obzwar „unser Begriff von einer subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur in ihren Formen nach empirischen Gesetzen gar kein Begriff vom Objekt ist, sondern nur ein Prinzip der Urteilskraft, sich in dieser ihrer übergroßen Mannigfaltigkeit Begriffe zu verschaffen, in ihr orientieren zu können“, „so legen wir ihr doch hierdurch gleichsam eine Rücksicht auf unser Erkenntnisvermögen nach der Analogie eines Zwecks bei“. So können wir „die Naturschönheit als Darstellung des Begriffs der formalen (bloß subjektiven), und die Naturzwecke als Darstellung des Begriffs einer realen (objektiven) Zweckmäßigkeit ansehen, deren eine wir durch Geschmack (ästhetisch, vermittelst des Gefühls der Lust), die andere durch Verstand und Vernunft (logisch, nach Begriffen) beurteilen“. Hierauf gründet sich die Einteilung der Urteilskraft in die „ästhetische“ und „teleologische“ Urteilskraft; erstere ist „das Vermögen, die formale Zweckmäßigkeit (sonst auch subjektive genannt) durch das Gefühl der Lust oder Unlust“, letztere das Vermögen, „die reale Zweckmäßigkeit (objektive) der Natur durch Verstand und Vernunft“ zu beurteilen, KU Einl. VIII (II 30 f.). Die ästhetische Urteilskraft ist ein besonderes Vermögen, Dinge „nach einer Regel, aber nicht nach Begriffen, zu beurteilen“; die teleologische Urteilskraft gibt die Bedingungen bestimmt an, unter denen etwas „nach der Idee eines Zwecks der Natur zu beurteilen“ sei, „kann aber keinen Grundsatz aus dem Begriffe der Natur, als Gegenstandes der Erfahrung, für die Befugnis anführen, ihr eine Beziehung auf Zwecke a priori beizulegen, und auch nur unbestimmt dergleichen von der wirklichen Erfahrung an solchen Produkten anzunehmen; wovon der Grund ist, daß viele besondere Erfahrungen angestellt und unter der Einheit ihres Prinzips betrachtet werden müssen, um eine objektive Zweckmäßigkeit an einem gewissen Gegenstande nur empirisch erkennen zu können“, ibid. (II 32). In einer „Kritik“ der Urteilskraft ist der Teil, der die ästhetische Urteilskraft enthält, ihr wesentlich angehörig, weil diese „allein ein Prinzip enthält, welches die Urteilskraft völlig a priori ihrer Reflexion über die Natur zum Grunde legt“. Die teleologische Urteilskraft ist „kein besonderes Vermögen, sondern nur die reflektierende Urteilskraft überhaupt“, sofern sie nach Begriffen verfährt, also ihrer Anwendung nach zum „theoretischen Teile der Philosophie“ gehört und ihrer besonderen Prinzipien wegen einen besonderen Teil der „Kritik“ ausmachen muß, während die ästhetische Urteilskraft nur zur Kritik des urteilenden Subjekts und der Erkenntnisvermögen desselben a priori gehört, ibid. (II 31 f.).
Da in der Zergliederung der Gemütsvermögen (s. Seelenvermögen, Erkenntnisvermögen) „ein Gefühl der Lust, welches, von der Bestimmung des Begehrungsvermögens unabhängig, vielmehr einen Bestimmungsgrund desselben abgeben kann, unwidersprechlich gegeben ist, zu der Verknüpfung desselben aber mit den beiden anderen Vermögen (Erkenntnis- und Begehrungsvermögen) in einem System erfordert wird, daß dieses Gefühl der Lust, sowie die beiden andern Vermögen nicht auf bloß empirischen Gründen, sondern auch auf Prinzipien a priori beruhe, so wird zur Idee der Philosophie, als eines Systems, auch (wenngleich nicht eine Doktrin, dennoch) eine Kritik des Gefühls der Lust und Unlust, sofern sie nicht empirisch begründet ist, erfordert werden“. Vermutlich wird das gesuchte Prinzip in der Urteilskraft zu finden sein, Erste Einl. in die KU, III WW ed. Cassirer-Buek (V 188 f.) Vgl. Urteilskraft, System, Technik (der Natur), Spezifikation, Seelenvermögen, Erkenntnisvermögen.