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Fremde Welt, fremde Sprache

Da uns bei solchen Untersuchungen die Begriffswelt der geltenden Psychologie im Stiche läßt, so möchte ich ganz einfach ein Beispiel beschreiben, wo die Seele in fremder Welt sich änderte und wo zugleich ein Denken in fremder Sprache stattfand. Ich war einmal für wenige Tage auf afrikanischem Boden, in Algier. Da sah ich nun in freiem Walde Affen auf den Bäumen klettern, da sah ich fruchttragende Palmen, da sah ich auf freiem Felde die Ananas reifen. Es waren das Bereicherungen meiner Wirklichkeitseindrücke, also meiner Seele, wenn ich auch als europäischer Kulturmensch Palmen und Datteln, Affen und Ananas kannte. Auch die Worte waren mir bereits geläufig, weil vor Jahrtausenden oder aber vor einigen hundert Jahren die Dinge selbst nach Europa importiert worden waren. Was dabei also neu in meine Seele kam, waren weder Worte noch einzelne Wirklichkeitsbilder, sondern nur eine fast unaussprechliche Landschaftsstimmung. Sodann nahm ich Eindrücke vom arabischen Leben auf; ich sah (innerhalb der unfaßbaren Landschaftsstimmung) die Moschee, die Khasba, die Aissaua, die Feier des Ramasan. Diese Dinge waren in Europa nicht einzuführen oder mir bei dem Stande meiner Bildung zu wenig bekannt, als daß ich sie nicht mit den Worten zugleich hätte als etwas Neues kennen lernen müssen. Seit diesem kurzen Aufenthalte in Algier ist meine Seele und zugleich meine Sprache um die Dinge und Worte Khasba, Afesaua u. s. w. bereichert, wie sich einst z. B. die Römer um die Dinge und Worte Affe, Palme u. s. w. bereicherten. Als in unbekannt alter Zeit Sache und Wort "Affe" (gewiß ein Lehnwort; an den gemeingermanischen oder germanisch-slavischen Ursprung glaube, wer mag) aus einem Affenlande nach Westeuropa kam, als die christliche Kirche zu Kultzwecken Sache und Wort "Palme" einführte, als im 16. Jahrhundert von Peru Sache und Wort "Ananas" herüberkam, da ging es den Leuten damit zuerst wie mir mit Khasba und Aissaua. Man könnte sagen, daß ich beim Gebrauch der Worte Khasba u. s. w. momentan arabisch denke. Nun sprach ich während dieses afrikanischen Aufenthaltes ausnahmslos französisch, wenn ich das Lesen eines deutschen Briefes beiseite lasse; und ich dachte dabei französisch. Dieses Französischdenken ist aber so wenig ein Beweis für einen Gegensatz zwischen Denken und Sprechen, daß es vielmehr die Identität beider nur bezeugt. Es gibt französische Gerichte und Gewohnheiten, die ich auf französisch bezeichnen kann und gar nicht auf deutsch. Dann hat sich freilich mein Denken momentan geändert, aber nur deshalb, weil mein Wirklichkeitsbild bereichert worden ist; die Worte sind zu meiner Muttersprache hinzugetreten, wie wenn ich in Deutschland eine neue Speise, ein neues Tier kennen lerne. Wo aber einzig und allein die französische Sprache an Stelle der mir geläufigen getreten ist, da habe ich eben nach Landesbrauch den Frack angezogen und mich darin bewegen gelernt. Die paar arabischen Worte dazu sind wie der türkische Fes, den man sich dort wohl aus Narrheit oder Klugheit auf den Kopf setzt.