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Sprache ist Bewegung

Wir sind durch diese Erwägungen unmerklich unserem Ziele etwas näher gerückt. Die Behauptungen über das Verhältnis von Denken und Sprechen schienen uns so lange ein Wortstreit, als wir nicht wußten, was Denken und was Sprechen eigentlich sei. Nun wurden wir durch die angeführten Beispiele an die Definitionen erinnert, zu welchen wir in anderem Zusammenhange gelangten. Sprache, ja selbst die schon konkretere Individualsprache ist immer nur ein Abstraktum; wirklich ist immer nur der augenblicklich durch Bewegung hervorgebrachte Laut, welcher ein Zeichen ist für irgend welche ererbte oder erworbene Erinnerung. "Der durch Bewegung hervorgebrachte Laut" ist freilich schon wieder etwas Komplexes. Wenn ich höre, achte ich allein auf den Laut; wenn ich rede, dann ignoriere ich den Laut gewöhnlich völlig. Und nicht immer ist das Zeichen ein Laut. Es kann auch ein anderes Bewegungszeichen sein, wie denn die Kinder eines englischen Taubstummenlehrers an seinen unwillkürlichen Fingerbewegungen bemerken konnten, woran der Vater beim Auf- und Abgehen im Zimmer dachte. Er bewegte die Finger wohl deshalb, weil ihm die Fingersprache zur Gewohnheit geworden war, doch nur so geläufig wie einer Bäuerin das Lesen, die nicht ohne Lippenbewegungen zu lesen vermag. Jede wirkliche Sprachäußerung ist eine Bewegung. Wenn ein Mensch deutlich und distinkt ein Wort denkt (man achte darauf, daß ich "denken" sagen muß), so ist damit — wie wir noch genauer erfahren werden — ein Bewegungsgefühl verbunden, welches bei sehr bewußtem Denken bis zu einem Fühlbarwerden dieses Bewegungsgefühls sich steigern kann. Lägen die Sprachorgane nicht versteckt, wir würden sie bei angestrengtem Denken charakteristisch zucken sehen wie die Finger jenes Taubstummenlehrers. Noch einmal: wo die Sprache wirklich ist, da besteht sie aus Bewegungszeichen.