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IX. Denken und Sprechen

Dies steht der Erkenntnis der Wahrheit am starrsten im Wege, daß die Menschen alle glauben zu denken, während sie doch nur sprechen, daß aber auch die Denkgelehrten und Seelenforscher allesamt von einem Denken reden, für welches das Sprechen höchstens das Werkzeug sein soll. Oder das Gewand. Das ist aber nicht wahr, es gibt kein Denken ohne Sprechen, das heißt ohne Worte. Oder richtiger: Es gibt gar kein Denken, es gibt nur Sprechen. Das Denken ist das Sprechen auf seinen Ladenwert hin beurteilt.

Wenn ich nur stark genug sagen könnte, wie gemein die Worte des Alltags, die Worte der Gemeinsprache zwischen gemeinen Menschen sind. Worte sind eingesalzene Heringe, konservierte alte Ware. Wer zu denken glaubt, der hat Hunger nach Mitteilung, und darum schmeckt ihm die eingesalzene alte Ware. Und wenn man mag, so darf man das Denken mit der Heringslake vergleichen, die das konservierte Zeug um so reicher umspült, je weniger Ware im Umfang und Begriff der großen Tonne noch vorhanden ist, die, an sich wertlos und kraftlos, sich für die Hauptsache hält — und in die Ladenschwengel und Köchinnen und andere denkende Menschen mit schmutzigen Fingern hineinpatschen, einen elenden Hering zu gattern, und sich nachher die Lake von den Fingern lecken, um andachtsvoll mit Ladenschwung und Küchenernst zu sagen: Das schmeckt salzig, das ist das Denken. Und die sprechenden Menschen sind das Salz der Erde.

Noch schlimmer als um die Ästhetik des Denkens steht es um seine Ethik. Die ältere Medizin, die noch nicht von den Wirkungen der ausgeatmeten Kohlensäure wußte, schrieb die Schädlichkeit des Menschengedränges einem Gifte zu, dem Anthropotoxin. Das wahre Anthropotoxin oder Menschengift ist das Sprechen. Ein Denken über dem Sprechen, eine Logik über die Sprachlehre hinaus, einen Logos über die Worte hinaus, Ideen über die Dinge hinaus gibt es so wenig wie eine Lebenskraft über dem Lebendigen, wie eine Wärme über der Wärmeempfindung, wie eine Hundheit über den Hunden. Und wem ein Gefallen geschieht mit abstrakten Worten, der mag immer von einer Sprachigkeit reden, die zum Sprechen führt. Sein Wissen wird davon etwa so viel gewinnen wie von: die Tiere haben freie Bewegung, weil sie beweglich sind. Oder noch besser: die Tiere haben, freie Bewegung, um die Beweglichkeit zu ermöglichen. Die Menschen sprechen, weil sie (denken) die Sprachigkeit besitzen. Die Menschen sprechen, um ihre Sprachigkeit zu zeigen (um zu denken).

Der Irrtum ist wohl daher entstanden, daß man dem Denken, der Sprachigkeit wie anderen -heiten und -keiten und -schaften irgend etwas Gespenstisches, Göttliches, Übermenschliches als Diadem auf den kopflosen Rumpf gestülpt hat. Da müssen dann die -heiten und -keiten und -schaften und mit ihnen natürlich das Denken etwas extra Anständiges sein. Nun ist aber das Sprechen offenbar gewöhnlich ein Geschnatter, in besseren Fällen ein Kellnerbefehl oder eine Notiz. Da muß also hinter dem albernen Sprechen noch das Denken stehen, das kopflose Abstraktum mit dem Königsdiadem. Es klingt furchtbar vornehm: Denken. Wer denkt, der spricht. Und umgekehrt: Wer spricht, der denkt. Woraus zu entnehmen, wie gemein das Denken ist.

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