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Das Reichsamt für …

Eines Sonnabend abends ging der stellvertretende Rektor des Stadtgymnasiums in Groß-Hainichen, Herr Professor Stellwagen, ein Pfeiflein schmauchend, durch die schmalen Gänge seines Nutzgärtleins. Da blühten artig und verschämt einige rote Rosen, denen der Herr Rektor hier zu blühen erlaubt hatte, da lag das gute grüne Gras im Abendsonnenscheine – Herr Professor Stellwagen hatte es selbst gesät –, da steckten die Kartoffeln und die Rüben demütig in der Erde und warteten darauf, dass man sie herausziehe, die Sonnenblumen nickten in den Himmel, fast ein wenig zu stolz, fast ein wenig zu übermütig – und da … Was war das?

Da rankten sich die Bohnenpflanzen – aber eine rankte sich nicht. Eine kroch an der Erde herum, gerade über den Weg, der da vorbeiführte, und wenn man nun nicht achtgab, dann konnte sie am Ende zertreten werden … Ärgerlich brummend hob sie Herr Professor Adalbert Stellwagen auf und band sie an den zugehörigen Stock, von dem sie so treulos abgefallen war. Dann ging er weiter und verdaute das ihm auf Grund seiner Lebensmittelkarten zugestanden habende Abendbrot und dachte so an allerhand. Merkwürdig: er kam immer wieder auf die Bohne zurück.

Das war doch nun gewiß nicht die einzige Bohne in den Gärten da ringsherum, die vom Stock abfiel, am Ende zertreten wurde und auf diese Weise verkam. Was war das? Das war eine Verschwendung. Das war doch gewiß nicht die einzige Bohnenpflanze in all den kleinen Städten und Dörfern ringsum, die da abfiel und verkam. Was war das? Das war eine Gefahr. Das war eine große Gefahr … Und dann ging Adalbert Stellwagen zu Bett.

Aber in der Nacht, als der Mond rund und behäbig, wie es sich für einen ordentlichen Mond gehört, ins Fenster schien, da fuhr Adalbert Stellwagen jäh empor und dachte nach. Bohnen … ? Abgefallene Bohnen … ? Und er berechnete.

Und berechnete, dass diese abgefallenen Bohnen allein in der Provinz Sachsen, bei, sagen wir, einem Areal von, na, zwanzigtausend Morgen, imstande wären, die Festung Przemysl drei Monate lang zu ernähren … Er war ein tüchtiger Statistiker. Er setzte die Zipfelmütze ab. Das ging nicht.

*


Am nächsten Nachmittag saß der Professor Stellwagen da und verfaßte eine Denkschrift, ein Promemoria sozusagen, an den Herrn Landwirtschaftsminister. Er legte darin ausführlich dar, was es mit den abgefallenen Bohnen auf sich habe und wie das verderblich sei, wenn man die Frage en bloc betrachte, und was das Land für einen Schaden davon habe … und dann leuchteten seine Augen, er blickte triumphabiliter an die Stubendecke, da war es, das erlösende Wort! Und dann schrieb er, dass die Feder nur so kratzte, und bat um Errichtung eines Reichsbohnenamts. Das war es. Und das hatte gefehlt.

*


Nach dem zweiundzwanzigsten Referat dieser Art – die nächsten einundzwanzig waren fein säuberlich in Maschinenschrift geschrieben – hatte der Landwirtschaftsminister in Berlin ein Einsehen. Er ließ sich den Rektor aus Groß-Hainichen kommen.

Der kam. Die Unterredung dauerte zwei Stunden, und Professor Stellwagen redete, wie er noch niemals geredet hatte. Der Landwirtschaftsminister versprach, mit den Herren vom Finanzministerium Rücksprache zu nehmen – von denen hinge alles ab.

Stellwagen steckte sich hinter den Abgeordneten seines ländlichen Bezirks. Er sagte ihm allerhand, ließ etwas von »zukunftsreicher Karriere« auch für den Abgeordneten fallen – –

Am 17. Juli 1920 wurde durch Erlaß II C Nr. 25436545/III 5A des Landwirtschaftsministeriums in Berlin das Reichsbohnenamt begründet. Chef des Reichsbohnenamts: Herr Prorektor A. Stellwagen. Und nun gings los.

Der Chef des Reichsbohnenamts tat etwas. Er forderte an. Schreibmaschinen, Regale, Aktenschränke, Räume – viel Räume – drei Geheime expedierende Sekretäre, fünf expedierende Sekretäre, drei Registratoren, Bureaudiener, Tippdamen, Regierungsräte – kurz: was der Mensch so zum Leben braucht. Er bekam von allem die Hälfte, schimpfte furchtbar und forderte in Zukunft das Doppelte von dem an, was er brauchte. So glich sich das wieder aus.

Und Prorektor Stellwagen organisierte:

Das »Reichsamt für die Erzeugung von Bohnen und verwandten Gemüsen nebst Aufsicht ihrer sachgemäßen Bewirtschaftung« zerfiel in zehn Unterabteilungen: in die Abteilungen für Acker-, Puff-, Pferde-, Sau-, Vieh-, Garten-, Schmink-, Busch-, Stauden- und Veitsbohnen. Und jeder Abteilung stand ein Regierungsrat vor, und Prorektor Stellwagen erhielt demzufolge den Charakter eines Oberregierungsrates. Und jede Abteilung hatte eine Registratur und ein Sekretariat und eine Botenmeisterei und eine Allgemeine Abteilung und eine Zentrale und viele, viele kleine Unterabteilungen … Und über dem Ganzen thronte, schwebte unser Stellwagen.

Stellwagen, nicht faul, sah die Notwendigkeiten der Neuzeit ein: er schuf die Presseabteilung des Reichsbohnenamts. Er schuf die Nachrichtenstelle des Reichsbohnenamts, die Departementsabteilung und den Referenten für Bohnensachen beim Reichswirtschaftsministerium. (Die Regierung schuf immer mit. Sie sah gar nicht so genau hin, und wegen jedes Reichsamts konnte sie auch ihre Tätigkeit nicht gleich unterbrechen, nicht wahr?)

Und das Reichsbohnenamt wuchs, gedieh und blühte. Es hatte auch schon eine Geschichte: da war sein denkwürdiger Zusammenstoß mit dem Reichsgemüseamt, das ihm seine Kompetenzen streitig zu machen drohte – ha! die Kompetenzen!, das Heiligste, wo der Beamte hat … Aber Stellwagen siegte, und das Reichsgemüseamt kroch klein und häßlich in seine Höhle zurück. – Da waren die dreiunddreißig Berichtigungen, die das Reichsbohnenamt der deutschen Presse zugehen ließ, und die sie alle, alle druckte – trotz der Papiernot. Das wäre ja auch noch schöner! Und das Reichsbohnenamt blühte und gedieh, und Stellwagen blühte auch und gedieh auch, und Kindes- und Kindeskinder dieses Mannes werden noch in sein Amt eintreten können, für sie ist gesorgt, denn aufgelöst wird es nie – habt ihr schon einmal gehört, dass ein deutsches Amt jemals aufgelöst worden wäre –?

Und wenn es nicht gestorben ist …

Bohnen? Wie denn? Wie meinen Sie –? Bohnen? Ach so! – Ob nun auch die Bohnen in Deutschland besser gediehen und ob nun auch wirklich keine mehr zertreten würden, und ob überhaupt die Bohnenzucht … ?

Aber, Mensch, bedenken Sie doch: zehn Unterabteilungen und nunmehr zusammen dreiunddreißig geheime expedierende Sekretäre und fünfundzwanzig Regierungsräte und ein Oberregierungsrat und demnächst wohl ein Ministerialdirektor …

Was –? – Es sei Aufgabe dieser Stelle, sich um die Bohnen … Was haben Sie denn immer mit Ihren Bohnen? Bohnen brauchen wir gar nicht. Ein Reichsbohnenamt – das brauchen wir!

Dilettant.

Ignaz Wrobel
Berliner Tageblatt, 15.04.1920, Nr. 173, S. 2.