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Wie sieht der Erfinder des Reißverschlusses aus?

Den Erfinder des Reißverschlusses denke ich mir als einen älteren, teils vergnügten, teils mürrischen Mann: vergnügt, wenn seine Frau verreist ist, mürrisch in allen andern Lebenslagen. Er hat schütteres, weißes Haar, obgleich er noch gar nicht so alt ist; ein leicht lahmes Bein, das er unmerklich nachzieht, eine bedächtige Brille, niedrige Klappkragen, wie sie sein Großvater noch getragen hat. Er ist Deutsch-Amerikaner und heißt mit Vornamen Sam.

Eines Nachts kann dieser Sam nicht schlafen. Es ist eine mürrische Nacht, denn die Frau Sams liegt neben ihm und sieht aus wie ein älteres, etwas fett gewordenes Girl, kein sehr erfreulicher Anblick. Sam freut sich auch nicht – er liegt durchaus auf die andere Seite gedreht und denkt nach. Worüber denkt er wohl nach –?

Keineswegs an die Erfindung eines Reißverschlusses. Sam ist weder Ingenieur noch Techniker, sondern Buchhalter in einer Expedition für Blumensamen. Aber in seinen Mußestunden bastelt er an allem, dessen er habhaft werden kann, zum großen Ärger des fetten Girls: an den Uhren, am Rundfunk, am Auto, an den Fensterläden und an den geheiligten Vorrichtungen des Badezimmers. Zur Zeit hat er es mit der Handtasche seiner Frau. Irgend etwas gefällt ihm nicht an dieser Tasche.

Nun macht das Girl, das fette, eine lasche Bewegung im Halbschlaf … »Leo«, flüstert sie – denn dies ist ihr erster Mann gewesen. Sam zieht die Nase kraus – er liebt Leo nicht, denn Leo ist ein erfolgreicher Reisender in Essig, trägt so hohe Kragen und hat eine Frau, die aus dem Norden ist und auch so spricht … Ja, also die Handtasche hat einen Bügel, und dieser Bügel behagt Herrn Sam nicht mitnichten. Das fällt ihm jetzt ein. Wenn man … und er versinkt in Grübeln …

Mit einem Schrei fährt das Girl auf. »Sam!« – Kein Sam. »Es sind Einbrecher – –!« In der Küche rumort es, in der Wohnung rumort es. Das Girl stirbt vor Schreck, kommt wieder zu sich, stirbt noch einmal und steckt dann den süß ondulierten Kopf unter die zu diesem Zweck angebrachte Bettdecke. Da steht Sam vor ihm. »Was schreist du so?« grollt er dumpf. Seine Augen leuchten, er ist vergnügt-mürrisch. »Sam! Es sind Einbrecher – hast du – –?« – »Ich habe es gefunden«, sagt Sam. »Was hast du gefunden?« sagt das Girl. »Das mit dem Bügel«, sagt Sam. »Jetzt in der Nacht?« sagt das Girl. »Jetzt in der Nacht«, sagt Sam. Und klettert ins Bett und hört nicht und sieht nicht, und seine alten, gelben Hände machen so sonderbare Bewegungen auf der Decke, dass das Girl nur den Kopf schütteln kann und an Leo denkt, den es glücklich los ist, und an ein ganz anderes Leben, das es hätte führen können, mit einem Douglas Fairbanks für den Vormittag und einem Valentino für den Nachmittag, und weil Valentino nun tot ist, und Leo noch lebt, muß das Girl leise weinen, ganz leise. Sam lächelt.

Am nächsten Tag, einem Sonnabend, sitzt Sam von Mittag an bis zum nächsten Sonntag abend an seinem kleinen Basteltisch und klopft und hämmert und zwickt mit Zangen, und dann geht er ins Gartenhäuschen und schlägt auf dem winzigen Amboß herum und läßt den Schweiß-Apparat aufzischen und ist sehr tätig. Am Montag steht er vor dem Direktor eines großen Konsortiums, der bei Sam seinen Blumensamen kauft.

»Hier wird gezogen«, sagt Sam; »sehen Sie: so – und hier: so –.« Der Direktor sagt nichts; seine Hände machen eine Bewegung, die an das Auf- und Zuklappen der Flügel eines großen Raubvogels erinnern.

»Zeigen Sie mal – «, sagt er langsam. Und nimmt das kleine, mit Metallzwecken besetzte Lederding, das Sam ihm hinhält, in die Hand. Und zieht. Es ist ganz still in dem kleinen Raum. »Das ist – «, sagt der Direktor, faßt sich aber sofort; »das ist – ehm – das ist nicht unbrauchbar; nicht ganz unbrauchbar. Wieviel wollen Sie dafür?« Zahlen schwirren. »Haben Sie eine Beschreibung?« sagt der Direktor. Nein, die hat Sam nicht. Der Direktor klingelt. Ein minder fettes Girl erscheint; Sam soll diktieren. Er kann nicht diktieren. Der Direktor hilft. Es kommt eine ziemlich zusammengestoppelte Erklärung zustande. Der Direktor ists zufrieden. Sam, der plötzlich einen engbeschriebenen Scheck vor seinen Augen auf- und abtanzen sieht, hat eine Vision. Das minder fette Girl verhilft ihm zu dieser Vision. Sam akzeptiert den Vorschlag des Direktors. Sam, du Ochse.

Kaum ist Sam heraus, so stürzt der Direktor mit ein paar Bogen Papier und dem Ledersäckchen aufs Patentamt …

In der Generalversammlung kriegen sie heiße Köpfe. Das ist … so etwas hat man noch nie … das da ist keiner der ausgekochten Jungen, der nicht sofort wittert, was das ist. Über den korrekt sitzenden Schlipsen bewegen sich die harten amerikanischen Köpfe rasch hin und her. Hier ist die Chance, die große Chance. Und als sie gerade alle auseinandergehen wollen, mit dem festen und sicheren Bewußtsein, die große Gelegenheit ihres Lebens endlich erreicht zu haben und sie – das walte Gott! – richtig auszunutzen: da stellt der Jüngste der Gesellschaft eine Frage. Es ist nur eine kurze Frage – aber es wird ganz still in dem kleinen Saal. »Wie kommt das denn eigentlich zustande?« fragt er.

Die Gespräche sind wie abgehackt. Ja – wie wird es denn eigentlich gemacht –? Nun reden alle mit einem Male. Alle wollen es wissen – niemand weiß es. Hastige Hände blättern in der Beschreibung, die der alte Sam diktiert hat, und die, sauber vervielfältigt, vor jedem auf dem Tisch liegt. Aber da steht nur, wie man den Reißverschluß handhaben muß – aber da steht nicht, warum der Reißverschluß funktioniert, warum, warum … Mit einer energischen Geste hakt der Direktor das kleine Tischtelefon ab und sagt eine Nummer in den Apparat.

»Nicht zu Hause«, sagt der Direktor. »Was heißt das – nicht zu Hause? Er soll sofort – Verzeihung, gnädige Frau – aber Ihr Mann ist … wie? Er hat Ihnen nichts davon gesagt? Das ist sehr merkwürdig? Er ist auch schon mittags nicht zu Hause gewesen? – ganz gegen seine Gewohnheit nicht zu Hause – –?« Alle sehen sich betroffen an. Und nun erklären wieder alle mit einem Male, warum ein Reißverschluß, die Hoffnung ihres Lebens, funktioniert, funktionieren muß – aber sie wissen es nicht, niemand weiß es. Wo ist der Erfinder des Reißverschlusses –?

Der Erfinder des Reißverschlusses hat den Scheck zu Geld gemacht. Der Erfinder des Reißverschlusses ist mit einem schlanken, mit einem blonden, mit einem himmlisch gepuderten, mit einem grazilen Girl davongemacht – nach Paris. Denn so steht es in den Büchern; denn so ist das im Film. Sam hat eine Brieftasche mit Dollars; das Girl hat ein Herz (und den Rest) aus Zelluloid. Nun schwimmen sie über den Ozean, und nun sind sie in Paris.

Inzwischen kommen drüben die ersten Taschen mit Reißverschluß heraus, und es gibt eine Sensation. Alle Welt will einen Reißverschluß haben: die Tabaksbeutel und die Handtaschen der Damen und die kleinen Koffer und die Ministerportefeuilles – und es ist nur schade, dass man nicht auch alle Damenkleider mit Reißverschluß … und die Konkurrenz der Branche sieht mit einem nassen Auge das kleine, eingepreßte Zeichen im Metall an, das da anzeigt, wie gut dieser verteufelte, kleine Trick geschützt ist … »Never mind!« Man muß die nächste Chance abwarten. Diese ist dahin.

Und kein Mensch weiß, wie es ›gemacht‹ wird. Kein Mensch kann sich erklären, warum, warum der Reißverschluß funktioniert. Niemand weiß es. Die Fabrikanten können ihn herstellen, aber sie wissen eigentlich auch nicht ganz genau, was sie da fabrizieren. Ich weiß es nicht. Du weißt es nicht. Wir wissen es alle nicht.

Und der einzige Mensch, der es weiß, sitzt, während du dies liest, in Paris an der Ecke des Boulevard des Italiens und der rue Helder und verkauft Zeitungen. Er hat keinen Sou mehr, der arme Sam; das Zelluloid-Girl ist ihm davongelaufen, mit einem andern Sam, der George heißt, die Brieftasche ist leer, die Dollars sind fortgeflogen – und übriggeblieben ist ein armer, alter Mann, der nachts, wenn er in das kleine Schlafhotel am Boulevard Sébastopol kriecht, wo er in einem stickigen Zimmer mit acht Markthelfern schläft, nur eine einzige, süße, kleine Schadenfreude im Herzen trägt.

Er weiß, warum der scheinbar so einfache, welterobernde Reißverschluß funktioniert. Und er sagts keinem.

Peter Panter
Vossische Zeitung, 14.10.1928, Nr. 487.