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Ein einfacher Lehrer

Neulich hat ein Gemeindeschullehrer vor dem Schöffengericht gestanden, weil er dem Zoologischen Museum der Berliner Universität und der Entomologischen Gesellschaft Bücher und Insektenpräparate entwendet hatte. Der Mann war offenbar überarbeitet, hat seine Delikte in maßloser Überreizung begangen, ohne irgendwelchen pekuniären Nutzen, aber er wurde trotzdem freigesprochen.

Bei der Zeugenvernehmung stellte sich heraus, dass der Lehrer eine Kapazität der Naturforschung war – er hat aus Lust und Liebe zur Sache, aus wissenschaftlichem Ehrgeiz den Universitätszoologen Jahre lang geholfen und wertvolle Mitarbeit geleistet. Darüber wurde der Kustos des Zoologischen Museums vernommen, Herr Kuntze. Herr Kuntze:

»Der Angeklagte hat für seine Tätigkeit keinerlei Vergütung erhalten, aber es war für ihn, als einfachen Lehrer, doch eine große Ehre, dass er für das Museum Forschungsreisen ausführen durfte … «

So siehst du aus. Wer den grenzenlosen Hochmut kennt, mit dem diese studierten Kuntzes auf die ›einfachen Volksschullehrer‹ heruntersehen, wird die Melodie dieses Satzes abschmecken können. Es besteht ja doch nicht der geringste Grund, die Arbeit eines kenntnisreichen Lehrers etwa geringer einzuschätzen als die von Universitätsprofessoren – aber während die Resultate dieser Aufopferung den Professoren gehören, ist die Ehre ganz auf seiner Seite. Er ›durfte‹ für die Hochmögenden arbeiten, er durfte lange Jahre lang seine Freizeit opfern – und dafür bekommt er nun auf die Schulter geklopft.

Kuntze ist richtig, und die Volksschullehrer dürfen sich bei ihm bedanken: so klar hats vor ihm noch keiner gesagt.

Schade, dass die Volksschullehrer solchen Examensbrüdern den Gefallen tun, eine Überlegenheit anzuerkennen, die wesentlich in Zeugnissen, Diplomen und Titeln, aber weniger in der Leistung liegt. Der ganze Volksschullehrerstand geht, in durchaus falscher Empfindlichkeit, hoch, wenn einer mit dem Abiturium die Nase über sie rümpft. Sie sollten ihn auslachen. Denn Kinder gut zu erziehen ist viel schwerer, als den Kustos zu spielen, und Generationen heranzubilden wertvoller, als ein kümmerliches Stellchen in einem kümmerlichen Universitätsklüngel auszufüllen. Das Honorar der Ehre sollten sich die Lehrer verbitten, ohne in den gleichen Fehler wie die Hochmögenden zu fallen: nun für ihr Teil eine ›Standesehre‹ zu stabilisieren.

Was aber Kuntzen betrifft: es war selbstverständlich eine Ehre für das Museum, dass ihm einer eine Arbeit besorgt hat, für die es offenbar keinen geeigneten Mann in den eignen Reihen gefunden hatte. Auch, wenn es nur ein einfacher Lehrer war.

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 25.01.1927, Nr. 4, S. 153.