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Abendland

1. Fassung

ELSE LASKER-SCHÜLER IN VEREHRUNG

1

Verfallene Weiler versanken
Im braunen November,
Die dunklen Pfade der Dörfler
Unter verkrüppelten
Apfelbäumchen, die Klagen
Der Frauen im silbernen Flor.

Hinstirbt der Väter Geschlecht.
Es ist von Seufzern
Erfüllt der Abendwind,
Dem Geist der Wälder.

Stille führt der Steg
Zu wolkigen Rosen
Ein frommes Wild am Hügel;
Und es tönen
Die blauen Quellen im Dunkel,
Daß ein Sanftes,
Ein Kind geboren werde.

Leise verließ am Kreuzweg
Der Schatten den Fremdling
Und steinern erblinden
Dem die schauenden Augen,
Daß von der Lippe
Süßer fließe das Lied;

Denn es ist die Nacht
Die Wohnung des Liebenden,
Ist sprachlos das blaue Antlitz,
Über ein Totes
Die Schläfe aufgetan;
Kristallener Anblick;

Dem folgt auf dunklen Pfaden
An Mauern hin
Ein Abgestorbenes nach.

2

Wenn es Nacht geworden ist
Erscheinen unsre Sterne am Himmel
Unter alten Olivenbäumen,
Oder an dunklen Zypressen hin
Wandern wir weiße Wege;
Schwerttragender Engel:
Mein Bruder.
Es schweigt der versteinerte Mund
Das dunkle Lied der Schmerzen.

Wieder begegnet ein Totes
Im weißen Linnen
Und es fallen der Blüten
Viele über den Felsenpfad.

Silbern weinet ein Krankes,
Aussätziges am Weiher,
Wo vor Zeiten
Froh im Nachmittag Liebende geruht.

Oder es läuten die Schritte
Elis’ durch den Hain,
Den hyazinthenen,
Wieder verhallend unter Eichen.
O des Knaben Gestalt
Geformt aus kristallenen Tränen
Und nächtigen Schatten.

Anders ahnt die Stirne Vollkommenes,
Die kühle, kindliche,
Wenn über grünendem Hügel
Frühlingsgewitter ertönt.

3

So leise sind die grünen Wälder
Unserer Heimat,
Die Sonne sinkt am Hügel
Und wir haben im Schlaf geweint;
Wandern mit weißen Schritten
An der dornigen Hecke hin
Singende im Ährensommer
Und Schmerzgeborene.

Schon reift dem Menschen das Korn,
Die heilige Rebe.
Und in steinernem Zimmer,
Im kühlen, ist bereitet das Mahl.
Auch ist dem Guten
Das Herz versöhnt in grüner Stille
Und Kühle hoher Bäume.
Speise teilt er mit sanften Händen aus.

Vieles ist ein Wachendes
In der sternigen Nacht
Und schön die Bläue,
Schreitend ein Bleiches, Odmendes,
Ein Saitenspiel.

Gelehnt an den Hügel der Bruder
Und Fremdling,
Der menschenverlassene, ihm sanken
Die feuchten Lider
In unsäglicher Schwermut.
Aus schwärzlicher Wolke
Träufelt bitterer Mohn.

Mondesweiß schweigt der Pfad
An jenen Pappeln hin
Und balde
Endet des Menschen Wanderschaft,
Gerechte Duldung.
Auch freut die Stille der Kinder
Die Nähe der Engel
Auf kristallener Wiese.

4

Ein Knabe mit zerbrochener Brust
Hinstirbt Gesang in der Nacht.
Laß nur stille am Hügel gehn
Unter den Bäumen
Gefolgt vom Schatten des Wilds.
Süß duften die Veilchen im Wiesengrund.

Oder laß treten ins steinerne Haus,
Im gramvollen Schatten der Mutter
Neigen das Haupt.
In feuchter Bläue leuchtet das Lämpchen
Die Nacht lang;
Denn es ruht der Schmerz nicht mehr;

Auch sind die weißen Gestalten
Der Odmenden, die Freunde ferne gegangen;
Gewaltig schweigen die Mauern rings.

5

Wenn es auf der Straße dunkelt
Und es begegnet in blauem Linnen
Ein lange Abgeschiedenes,
O, wie schwanken die tönenden Schritte
Und es schweigt das grünende Haupt.

Groß sind Städte aufgebaut
Und steinern in der Ebene;
Aber es folgt der Heimatlose
Mit offener Stirne dem Wind,
Den Bäumen am Hügel;
Auch ängstet öfter die Abendröte.

Balde rauschen die Wasser
Laut in der Nacht,
Rührt die kristallenen Wangen
Eines Mädchens der Engel,
Ihr blondes Haar,
Beschwert von der Schwester Tränen.

Dieses ist oft Liebe: es rührt
Ein blühender Dornenbusch
Die kalten Finger des Fremdlings
Im Vorübergehn;
Und es schwinden die Hütten der Dörfler
In der blauen Nacht.

In kindlicher Stille,
Im Korn, wo sprachlos ein Kreuz ragt,
Erscheint dem Schauenden
Seufzend sein Schatten und Hingang.